Süddeutsche Zeitung

Entwicklungskonferenz:Milliarden-Verlust für die Ärmsten

UN-Konferenz in Addis Abeba sagt der Steuerflucht den Kampf an.

Von Isabel Pfaff

Genau jetzt, im Jahr 2015, hat die Weltgemeinschaft eigentlich so weit sein wollen: Die Armut sollte halbiert, die Kindersterblichkeit gesenkt, die Grundschule für alle offen sein. Millenniums-Entwicklungsziele nannten die Vereinten Nationen ihre achtteilige Agenda, die sie sich im Jahr 2000 gegeben haben. 15 Jahre später gelten ein paar der Ziele als erreicht - aber längst nicht alle. So richtig laut sagt das kaum jemand. Stattdessen haben sich die UN etwas Neues ausgedacht: "Sustainable Development Goals" (SDGs), nachhaltige Entwicklungsziele, 17 an der Zahl, die bis 2030 erfüllt sein sollen. Die neue Liste ist noch ambitionierter als die alte: Armut und Hunger etwa sollen komplett aus der Welt geschafft, die Ungleichheit zwischen und innerhalb von Staaten soll reduziert und das Wirtschaftswachstum nachhaltig gestaltet werden. Sogar der Kampf gegen den Klimawandel findet sich auf der Liste.

Um diese Agenda vorzubereiten, trafen sich von Montag bis Donnerstag Delegationen aus 193 Staaten in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Auf der dritten UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung berieten sie darüber, wie sich die ehrgeizigen Entwicklungsziele finanzieren lassen. Dabei machten die Veranstalter von Beginn an klar, dass es nicht nur um Finanzzusagen reicher Nationen gehen dürfe, also um klassische Entwicklungshilfe, sondern auch um Wege gehen müsse, wie arme Staaten selbst Geld auftreiben.

Bisher verfügen Entwicklungsländer selten über effektive Steuersysteme. Durch Steuerflucht und Finanzbetrug gehen diesen Staaten Milliarden verloren. Eine Studie der Nichtregierungsorganisation Open Society Initiative for West Africa (Osiwa) beziffert den Steuerverlust westafrikanischer Staaten zwischen 2002 und 2011 auf mehr als 190 Milliarden Euro. Die Summen, die multinationale Konzerne durch Steuertricks aus den Ländern herausschleusen, übersteigen nach Angaben von Osiwa die Entwicklungshilfe um bis zu 50 Prozent. Schon vor dem UN-Gipfel zeichnete sich deshalb ab, dass globale Steuergerechtigkeit ein zentrales Thema in Addis Abeba sein würde.

So kam es denn auch - doch die Debatten verliefen nicht so, wie es sich viele Entwicklungsländer gewünscht hatten. Der am letzten Gipfeltag verabschiedete Aktionsplan, von den Vereinten Nationen als "historisch" bejubelt, beinhaltet zwar den Kampf gegen Steuerflucht und illegale Finanzströme. Das ist eine Premiere. Doch was die Umsetzung betrifft, behielten nach zähen nächtlichen Verhandlungen die wohlhabenden OECD-Staaten das Sagen. Internationale Steuerfragen regeln nämlich bisher die OECD und die G-20-Staaten - also faktisch der reiche Teil der Welt. Auf dem Gipfel kämpften nun die Vertreter von Entwicklungs- und Schwellenländern dafür, die Verantwortung für diesen Bereich den Vereinten Nationen zu übertragen. Doch sie scheiterten.

Vertreter der Zivilgesellschaft und von Hilfsorganisationen üben nun heftige Kritik an der Gipfel-Einigung. "Auch weiterhin wird mehr als die Hälfte aller Staaten von Entscheidungen über globale Steuerstandards ausgeschlossen bleiben", klagt Klaus Schilder, Experte für Entwicklungspolitik bei Misereor. Dabei seien genau jene Länder die Leidtragenden eines ungerechten internationalen Steuersystems.

Uli Post, Leiter der Politikabteilung der Welthungerhilfe, bezeichnet den gesamten Aktionsplan aus Addis Abeba als "herbe Enttäuschung". Neben dem "Rückschritt" in der Steuerpolitik bemängelt er, wie unkonkret die Finanzierungszusagen seien. Die Staaten bekennen sich zwar zu dem Ziel, 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben, doch das tun sie bereits seit Jahrzehnten. Deutschland ist bisher noch nicht über 0,4 Prozent hinausgekommen; auch viele andere Staaten haben die Vorgabe noch nie erfüllt. Zusagen für mehr Geld blieben in Addis aus.

Auf Kritik stößt auch die prominente Rolle, die der Aktionsplan privaten Akteuren einräumt: Arme Staaten sollen ein politisches Umfeld schaffen, das private Investoren anlockt. Damit habe der Gipfel "Entwicklung einfach an den Privatsektor weitergereicht, ohne angemessene Schutzvorkehrungen zu treffen", sagte die Oxfam-Chefin Winnie Byanyima. Unter den Gipfel-Teilnehmern kursierte angeblich der bittere Scherz, in Addis Abeba gehe es nicht um Entwicklungsfinanzierung (also "Finance for Development"), sondern um "Development for Finance".

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SZ vom 17.07.2015
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