Entwicklungshilfeminister Niebel:Ministerial - und ganz egal

Mit dem FDP-Mann Dirk Niebel wurde ein Entwicklungshilfefeind zum Entwicklungshilfeminister ernannt. Das ist ein Akt der Politikverachtung durch die Politik.

Heribert Prantl

Die schwarz-gelbe Koalition begann mit Gelächter. Die ganze Bundespressekonferenz lachte, als die Kanzlerin und ihr Vizekanzler kokett den neuen Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Entwicklungshilfeminister genannt, vorstellten.

Merkel, Niebel, Westerwelle, Reuters

Angela Merkel und Guido Westerwelle (r.) haben Dirk Niebel (Mitte) zum Entwicklungshilfeminister gemacht. Ein Akt der Politikverachtung durch die Politik.

(Foto: Foto: Reuters)

Es war kein launiges, sondern ein beißend spöttisches, ein dreckiges Gelächter, als just derjenige zum Minister ausgerufen wurde, der sich stets über dieses Ministerium lustig gemacht hat.

Dirk Niebel heißt der Mann, bisher Generalsekretär der FDP, der im Namen seiner Partei früher die Abschaffung des Ministeriums gefordert hatte.

Es gibt politische Ungezogenheiten, die auch den Abgebrühten noch überraschen; die Personalie Niebel gehört dazu. Er steht am Mittwoch in der Riege derer, die vom Präsidenten des Bundestags vereidigt werden.

Die Kanzlerin und ihr Kabinett werden schwören, Schaden vom Volk zu wenden. Der Schwur kommt zu spät, der Schaden für eine seriöse Politik ist schon eingetreten. Er besteht aber nicht darin, dass ein Nicht-Fachmann berufen wurde; das gibt es öfter, und das geht oft auch gut, manchmal sogar sehr gut.

Der Schaden im Fall Niebel besteht darin, dass diese Besetzung die Vorurteile über Politik bestätigt, wonach es dort nicht um Haltung, sondern um Machterhaltung geht. Guido Westerwelle hat das Gelächter schmunzelnd kommentiert: "Ich denke, wir verstehen uns."

Eine Außenstelle des Außenministeriums

In der Tat: "Wir" haben verstanden, dass Liberalität, wenn es um Posten geht, Chuzpe bedeutet. Und "wir" haben auch verstanden, dass das Laissez-faire der Kanzlerin sehr, sehr weit geht.

Das Wort Minister hat einen bezeichnenden Ursprung; es kommt von dienen. Die Berufung eines Entwicklungshilfefeindes zum Entwicklungshilfeminister dient der Postenbefriedigung; es handelt sich um einen Akt der Politikverachtung durch die Politik.

Sie ist geeignet, auch Gutwilligen ihre Illusionen auszutreiben. Westerwelle hat einen Mann berufen, dem die Entwicklungshilfe kein Anliegen ist, sondern der ein Anliegen des Außenministers erfüllt: aus seinem Ministerium eine Außenstelle des Außenministeriums zu machen.

Über das Manko der Kanzlerin

Das ist nicht sachgerecht, sondern perfide. Solche Politik ist ein Grund dafür, warum die Öffentlichkeit nicht mehr bereit ist, Politikern Kredit und Bewährungszeit zu geben: Günther Oettinger muss das soeben spüren.

Dabei hat er Talente, die ihn womöglich für das neue Amt als EU-Kommissar tauglicher machen als für sein bisheriges als Ministerpräsident in Stuttgart.

"Verlorene Illusionen"

Balzac hat in einem Roman, der sinnigerweise "Verlorene Illusionen" heißt, über die Diplomatie einen Satz geschrieben, der heute nach verbreiteter Meinung für die Politik gilt: Sie sei die Wissenschaft derer, die nichts wissen und nur durch ihre Leere tief sind.

Indes: Diese verbreitete Kritik an einer angeblich inkompetenten Politik ist in dieser Generalität grundfalsch. Ein Minister ist kein Sachbearbeiter; er muss allerdings seine Sache so verstehen, dass er die Linie vorgeben kann.

Er darf nicht Tanzbär seines Apparates sein; wenn er allerdings vom Sujet nichts versteht, dann muss man froh sein, wenn er wenigstens Tanzbär ist - vorausgesetzt, das Ministerium macht ordentliche Musik.

Wenn man schon bei den Bären ist: Die Koalition hat sich mit der Personalie Niebel einen Bärendienst erwiesen. Sie diskreditiert andere Entscheidungen, über die man sich nicht mokieren muss - etwa die der Berufung des Verteidigungsministers Jung zum Arbeitsminister.

Gute Fachminister, die nicht vom Fach sind

Man muss nicht unbedingt vom Fach sein, um ein guter Fachminister zu sein. Peter Struck, der als höchst respektabler Verteidigungsminister galt, hatte keinen einzigen Tag als Soldat gedient. Ein Verkehrsminister muss nicht Straßenbauingenieur sein, der Wirtschaftsminister nicht Börsenmakler, der Gesundheitsminister nicht Arzt und die Bildungsministerin nicht Universitätsprofessorin.

Es schadet nicht unbedingt, ist aber auch nicht immer Basis für erfolgreiches politisches Wirken. Gerade die Professoren in den Bundesregierungen haben meist ziemlich glücklos agiert, weil sie zwar Koryphäen in ihrem Karo waren, aber keine Koryphäen im Entscheiden.

Die Herablassung über die angeblich mangelnde Qualifikation der alleskönnenden Minister ist unangebracht. Regieren heißt nicht, noch mehr Details zu kennen als die Referenten.

Regieren heißt: mit diesen Details zu arbeiten, auf ihrer Basis zu entscheiden, Apparate zu koordinieren, Mitarbeiter zu motivieren, Projekte anzustoßen - und in der Komplexität des Willensbildungsprozesses seine Vorstellungen durchzusetzen. Das setzt freilich voraus, dass man Vorstellungen hat, die über den Machterhalt hinausgehen.

Es muss sich ja nicht immer gleich um Visionen handeln, aber der Blick sollte ein wenig weiter gehen als von der Tagesschau bis zur Wetterkarte. Das Elend der Verkehrspolitik beispielsweise besteht darin, dass die Minister nie Vorstellungen davon hatten, wie die Zukunft von Straße und Schiene aussehen soll. Jeder hat phantasielos dort weitergewurstelt, wo der Vorgänger aufgehört hatte.

Das Grundgesetz nennt die Phantasie "Richtlinien der Politik". Das Dilemma der schwarz-gelben Koalition beginnt mit dem Manko der Kanzlerin: Von ihrer Phantasie ist nichts zu spüren und von ihren Richtlinien ist nichts zu sehen.

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