Entwicklungshilfe-Ministerium:66 000 Gegner in die Freundschaft gezwungen

Oxfam

So präsentierte das Entwicklungsministerium die Übergabe der Unterschriften auf seiner Webseite (einen vollständigen Screenshot sehen Sie am Ende des Artikels).

Mit Zehntausenden Unterschriften protestieren Organisationen dagegen, dass der Bund indirekt Entwicklungshilfe an Agrarkonzerne vergibt. Das Ministerium nimmt die Listen entgegen - und veröffentlicht seine ganz eigene Sicht der Dinge.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Mit dem Ackerbau, keine Frage, kennt sich Gerd Müller aus. Der Entwicklungsminister von der CSU stammt selbst aus einer Bauernfamilie, und bevor er Minister wurde, diente er als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. Seit der Wiedervereinigung, so warb Müller erst am Freitag, habe sich die Produktivität ostdeutscher Äcker um das Zweieinhalbfache steigern lassen. "Das ist jederzeit möglich auch in Äthiopien." Mehr Produktivität auf dem Acker, weniger Hunger im Dorf - das ist eine der Grundüberzeugungen Müllers. Sogar eine eigene Sonderabteilung hat er dafür ins Leben gerufen: "Eine Welt ohne Hunger".

Einige Entwicklungsorganisationen hegen aber seit einiger Zeit Zweifel, ob Müller wirklich auf dem rechten Pfad ist. Über die so genannte "German Food Partnership", die bei der Steigerung der Produktivität helfen soll, würden letztendlich auch hiesige Agrar- und Chemiekonzerne unterstützt, darunter Bayer und BASF. Statt Kleinbauern in Entwicklungsländern zu helfen, kritisiert etwa Oxfam, könnten sich die Konzerne mit der millionenschweren "Food Partnership" elegant neue Märkte erschließen. "Die Bundesregierung betreibt faktisch unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung Wirtschaftsförderung zum Vorteil riesiger Agrarkonzerne", kritisiert Frank Braßel von Oxfam.

"Keine Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne"

Braßel war auch vorigen Dienstagmittag dabei, als Oxfam zusammen mit den Entwicklungsgruppen Fian und Inkota insgesamt 65 528 Unterschriften im Müller-Ministerium übergab, die Forderung: "Keine Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne!" Auch ein entsprechendes Transparent hatten sie mitgebracht, Müllers Staatssekretär Friedrich Kitschelt nahm die Listen entgegen. Doch jetzt brennt die Hütte erst recht.

Denn das Ministerium verbreitete auf seiner Homepage seine eigene Interpretation der Unterschriftenaktion (einen Screenshot sehen sie am Ende des Artikels). Die Initiative, so steht dort zu lesen, habe "an das Ministerium appelliert, die landwirtschaftliche Förderung auf kleinbäuerliche Betriebe auszurichten". Wer will da schon widersprechen? Staatssekretär Friedrich Kitschelt (CDU) jedenfalls nicht: "Dass mehr als 800 Millionen auf der Welt hungern, ist ein Skandal."

Und mehr noch: Das Ministerium gehe bei seiner Arbeit "Seite an Seite" mit der Zivilgesellschaft, wie auch mit "anderen starken Partnern vor Ort und in Deutschland". Bayer, BASF und Co.? Kein Wort dazu. Das Foto von der Übergabe ist auf der Homepage des Ministeriums auf das übliche 16:9-Format beschnitten: von dem kritischen Transparent fehlt dadurch die untere Hälfte. "Keine" lässt sich noch lesen - "Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne" nicht.

Eskalation mit der "Zivilgesellschaft"

Nun bahnt sich eine Eskalation mit der "Zivilgesellschaft" an, wie sie Müller gerade vermeiden wollte. Erst am Freitag hatte er seine "Zukunftscharta" vorgestellt, eine Art Gebrauchsanleitung für eine bessere Welt - entwickelt über Monate hinweg im Dialog mit Bürgern und Entwicklungsgruppen. Doch für Oxfam und Konsorten hört der Spaß nun auf. Am Freitag forderten sie das Ministerium auf, die Dinge richtig darzustellen - oder die Internetmitteilung ganz zu entfernen. Diese lasse sich "nur als Verdrehung und absichtlich unvollständige Darstellung" verstehen. Das Ministerium selbst wollte sich zu dem Vorgang auf Nachfrage nicht äußern.

Oxfam

So präsentierte das Entwicklungsministerium die Übergabe der Unterschriften auf seiner Webseite.

Angespannt ist das Verhältnis schon seit längerem. Seit einem Jahr versucht Oxfam, Einsicht in die Verträge zu erlangen, die das Ministerium für die "German Food Partnership" schloss. Sie könnten Aufschluss darüber geben, wie genau die Agrar-Kooperation zwischen Ministerium und Industrie aussieht. Seit dem Sommer schon stellt das Ministerium eine baldige Offenlegung in Aussicht, doch jeder Termin verstrich - sogar eine förmliche Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Immerhin da haben die Oxfam-Leute nun Hoffnung geschöpft, denn der Staatssekretär nannte dafür einen neuen Termin: Anfang Dezember. In der Mitteilung des Ministeriums steht davon aber nichts.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: