Süddeutsche Zeitung

Entwicklungshilfe:Betrug an den Ärmsten

Es sind Milliarden, die auf rätselhaften Wegen die armen Länder des Südens verlassen - gelenkt von Juristen und Buchhaltern multinationaler Konzerne. Dagegen muss etwas getan werden: durch bessere Steuergesetze und eine bessere Verwaltung.

Von Michael Bauchmüller

Wie viel Geld genau den Armen jedes Jahr gestohlen wird, weiß keiner so genau, die Zahl liegt irgendwo zwischen 20 und 100 Milliarden Dollar. Es sind Milliarden, die auf rätselhaften Wegen die Länder verließen, in denen sie erwirtschaftet wurden - unbemerkt von dortigen Finanzämtern, gesteuert von Juristen und Buchhaltern multinationaler Konzerne. Sie fließen dorthin, wo die Steuersätze niedriger sind, nicht selten auch ins Heimatland des Mutterkonzerns. Im reichen Norden finanzieren Gewinne aus dem armen Süden so Schulen und Straßen. Es ist ein Skandal, über den die entwickelte Welt nur ungern spricht.

In dieser Woche wird sie darüber nicht schweigen können. Im äthiopischen Addis Abeba treten Minister aus aller Welt zum Kassensturz für die globale Entwicklung zusammen. Die Konferenz soll klären, wer eigentlich wie viel Geld beiträgt im Kampf gegen Hunger, Krankheit und Umweltzerstörung. Das wird kaum gehen ohne einen tiefen Blick in die schwarzen Löcher der globalen Finanzbeziehungen, ins Ungewisse der entgangenen Milliarden.

Der Schwund hat Methode. Multinationale Konzerne machen seit Jahrzehnten beste Geschäfte mit den Entwicklungsländern, nicht zuletzt mit der beherzten Plünderung natürlicher Ressourcen. Daraus entstehende Gewinne werden über die Grenzen hinweg verschoben, mitunter schrumpfen sie auf ihrer weiten Reise wie von Geisterhand. Regeln über den Umgang mit solchem Steuertourismus allerdings heckt derzeit nur die OECD aus - und der gehören ausschließlich Industriestaaten an. Die Idee, diese Aufgabe den Vereinten Nationen zu übertragen, lehnen viele OECD-Staaten bislang hartnäckig ab. Experten schätzen, dass den Ärmsten durch entgangene Unternehmensteuern mehr Mittel entgehen, als sie an Entwicklungshilfe erhalten. Genaue Zahlen hat keiner.

Viele Staaten im Süden leiden massiv unter der Steuerflucht

Wie auch? Denn die kreative Steuergestaltung trifft vielerorts auf Finanzbehörden, denen es entweder an Personal fehlt oder die gegen Bezahlung auch schon mal ein Auge zudrücken. Wie viel Gewinne ein Unternehmen in einem Land erwirtschaftet hat, bleibt Bürgern und kritischen Gruppen meist verborgen. Es mangelt, trotz vieler guter Initiativen, nach wie vor an Transparenz und an Kooperation zwischen Steuerbehörden in aller Welt. So wird es umso leichter, die Milliarden zu verschieben.

Die Konferenz in Äthiopien wird sich dieser Missstände annehmen müssen. Eine bessere Steuerverwaltung wird die Nöte der Ärmsten nicht allein beheben können, und die Debatte darüber darf auch nicht den anderen großen Skandal verschleiern: die seit Jahrzehnten gebrochenen Versprechen der Industriestaaten, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für die Entwicklungshilfe zu verwenden. Aber diese Entwicklungshilfe nutzt wenig, wenn zugleich Steuereinnahmen, die Staaten selbst in ihre Entwicklung stecken könnten, durch dunkle Kanäle in den stillen Ozean der internationalen Kapitalströme abfließen.

In gut zwei Monaten wollen die Vereinten Nationen in New York neue Ziele für die "nachhaltige Entwicklung" beschließen, sie sollen weit mehr umfassen als nur den Kampf gegen Hunger, Krankheit und Ungleichheit. Dies zu finanzieren, wird es beides brauchen: mehr Geld aus dem Norden, aber auch mehr Steuergerechtigkeit im Süden. Der organisierte Betrug an den Armen muss beendet werden, dazu bedarf es unter anderem einer Gesetzgebung, die sich der wachsenden Ungleichheit in vielen Entwicklungsländern annimmt: mit Steuersätzen, die den Reichen mehr nehmen als der wachsenden Mittelschicht, und mit Steuerverwaltungen, die der Korruption in den eigenen Reihen den Kampf ansagen.

Denn auch das ist Nachhaltigkeit: die Chance, mit den eigenen Reichtümern zu wirtschaften - zum Wohle aller.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2015
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