Entschuldigung des Bundespräsidenten:Warum Wulff noch eine Chance verdient

Beinahe zu spät erkannte man im Schloss Bellevue, dass Rechthaberei und Wegducken dem Privatmann Wulff nichts nützen, aber dafür dem Bundespräsidenten Wulff schaden. Er hat getrickst und getäuscht, doch so unappetitlich die Kredit-und-Amigo-Affäre ist, so wenig taugt sie als Rücktrittsgrund.

Kurt Kister

Christian Wulff hat endlich gesprochen. Er hat gesagt, was er längst hätte sagen sollen. Er hat zugegeben, dass mindestens sein Verhalten vor dem niedersächsischen Landtag falsch war.

Ja, seine bisherigen Reaktionen auf seinen privilegierten Privatkredit, den er später unter noch ungeklärten Umständen mit einem privilegierten Bankkredit aus Baden-Württemberg ablösen konnte, waren beileibe nicht, so Wulffs Wortwahl, "geradlinig". Er gab stets nur so viel zu, wie er (und sein nun geschasster Sprecher Olaf Glaeseker) gerade mal für nötig hielten. Er hat getrickst, und er hat damals versucht, den Landtag zu täuschen.

Als in den vergangenen Tagen alles aufflog, wurde zunächst weiter finassiert. Erst spät erkannte man im Schloss Bellevue, dass Rechthaberei und Wegducken dem Privatmann Wulff nichts nützen, aber dafür dem Bundespräsidenten Wulff schaden. Schlimmer noch: Der Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten ist in diesem Dezember geringer geworden. Es durfte nicht sein, dass nach dem mimosenhaft aus dem Amt geschiedenen Horst Köhler nun dessen Nachfolger Christian Wulff Deutschlands höchstes Staatsamt zur Selbstverteidigungsfestung umbaute und missbrauchte.

Wulffs vorweihnachtliche Mea-culpa-Erklärung hatte die Funktion einer Notbremse. Auch wenn diese Bremse eigentlich zu spät gezogen wurde, kommt damit der Karren nun hoffentlich vor dem Abgrund zum Stehen. So unappetitlich manches an der Kredit-und-Amigo-Affäre ist, so wenig taugt sie als hinreichender Rücktrittsgrund vom Amt des Bundespräsidenten. (Weil man vorsichtig geworden ist, sei hinzugefügt: Dies gilt nur, falls nicht Ungeheuerlichkeiten bekannt werden wie etwa Vorteilsgewährung im Amt oder strafrechtlich relevante Geldmauscheleien.)

Sündenbock Glaeseker?

Der Bundespräsident hat als Privatmann, während er Ministerpräsident war, gefehlt. Er hat dies nun zugegeben und öffentlich bedauert. Damit gebührt ihm die Chance, sich in jenem Amt zu bewähren, in das er nach Köhlers Rücktritt reichlich überraschend geraten ist.

Ist die Angelegenheit damit zu Ende? Nein, das ist sie nicht. Wulff hat Transparenz versprochen, und dazu gehört zweierlei. Zum einen muss er offenlegen, wie der Kredit bei der BW-Bank zustande kam und ob dabei der alte Wulff-Freund und Ministerpräsidentenkollege Günther Oettinger hilfreich gewesen sein könnte. Zum zweiten harrt die spektakuläre Trennung Wulffs von seinem langjährigen Gefährten und Sprecher Olaf Glaeseker der Aufklärung. Gewiss, die Strategie des Umgangs mit der Affäre war grundfalsch. Das allein aber kann nicht ausreichend dafür sein, dass sich der Präsident von seinem engen Mitarbeiter eine Stunde vor seiner eigenen überraschenden Erklärung trennt. Solche Dinge haben entweder Symbolcharakter - der Sündenbock - oder es gibt Vorgänge, die sich nicht entschuldigen lassen. In der Politik geht es bei solchen Vorgängen meistens um Geld und/oder Entscheidungsbeeinflussung.

Wulff hat ein paar Minuten vor zwölf verstanden, dass die Tatsache, dass er selbst seit Tagen nicht zu vernehmen war, ihm fast mehr geschadet hat als alles, was rund um seinen fragwürdigen Kredit vor Jahren passiert ist. Hätte er noch weiter geschwiegen respektive sich nur durch Dritte verteidigen lassen, wären ihm bei jedem öffentlichen Auftritt Fragen nach Moral und Geld gestellt worden. Sein Schweigen nagte an seiner Glaubwürdigkeit, ja an seiner Integrität. Wulff war auf dem besten Wege, mit seiner trotzigen Unsicherheit den Schaden für Person und Amt irreparabel zu vergrößern. Dies nahm besonders problematische Züge an, weil von Anfang an der Verdacht auf Wulff lastete, dass das Amt zu groß sein könnte für diesen Mann.

Aussitzen a la Helmut Kohl funktioniert nicht mehr

Nicht nur Politiker hoffen oft darauf, dass sich eine unangenehme Affäre schon von selbst erledigen wird, wenn man den Mut und die Ausdauer hat, etwas zuzuwarten. Zu Helmut Kohls Zeiten wurde das Aussitzen als Mittel der Krisenbewältigung nahezu sprichwörtlich. Man erinnert sich an den Satz von der Karawane, die weiterzieht, obwohl die Hunde bellen. Was allerdings vor zwanzig Jahren funktioniert haben mag, ist heute weder ratsam noch richtig.

Die Medienzyklen, die damals von Tageszeitungen, einigen Sendern und wenigen Wochenblättern bestimmt wurden, haben sich rapide beschleunigt. Das Internet gibt den Takt vor; mit der Geschwindigkeit eines wildgewordenen Metronoms werden nahezu rund um die Uhr Wahrheiten und Gerüchte, Wiederholungen und Verschwörungstheorien verbreitet. Wer glaubt, er könne es sich leisten, auf diesen Strom als öffentliche Person von hoher Prominenz nicht oder kaum zu reagieren, der hat nicht verstanden, was Kommunikation im 21. Jahrhundert bedeutet. Noch nie war die Ausbreitungsgeschwindigkeit so groß wie heute, noch nie konnte der Bocksgesang innerhalb von ein paar Stunden so bedrohlich anschwellen wie jetzt.

Das heißt keineswegs, dass die Causa Wulff eine Medienaffäre ist. Christian Wulff hat vor Jahren einen mittelgroßen Fehler gemacht und ihn durch sein Verhalten in den vergangenen zehn Tagen gewaltig vergrößert. Die Medien haben dies widergespiegelt und dabei sicher auch manchen Zerrspiegel aufgestellt. Zu sehen aber war in all diesen Spiegeln immer der Mann, der jetzt um Verzeihung gebeten hat für seine Fehler.

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