Entscheidung über Militärschlag gegen Syrien:Naivität und Verpflichtung

Barack Obama Syrien

US-Präsident Barack Obama: An diesem Wochenende könnte er über einen Militärschlag gegen Syrien entscheiden

(Foto: via Bloomberg)

Großbritannien wird ihn nicht unterstützen, die Parlamentarier in Washington stellen bohrende Fragen und hochrangige Militärs sollen schwere Zweifel hegen: Bei der möglichen Syrien-Intervention stößt Barack Obama auf neue Hindernisse. Überzeugt der US-Präsident die Skeptiker?

Von Oliver Klasen

Es ist eine dieser Situationen, in der ein Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika einsam ist. Der Moment, in dem er entscheiden muss, ob er sein Land in den Krieg schickt. Dazu hat das Staatsoberhaupt nach der Verfassung (Artikel 2, Abschnitt 2) als Oberbefehlshaber der Streitkräfte die Befugnis.

Barack Obama wird an diesem Wochenende möglicherweise in diese Situation kommen. Er wird entscheiden müssen, ob er seinen Soldaten den Befehl gibt, militärische Ziele in Syrien anzugreifen. Er wird entscheiden müssen, ob er Macht demonstrieren will gegenüber Staatschef Baschar al-Assad, dessen Armee - davon sind Amerikas Geheimdienste offenbar überzeugt - am 21. August östlich von Damaskus Giftgas eingesetzt und Hunderte Menschen getötet haben soll.

Auch wenn Offizielle im Weißen Haus betonen, dass der Präsident noch keine finale Entscheidung getroffen habe, die letzten Vorbereitungen dafür sind längst angelaufen: Vier Zerstörer befinden sich bereits im östlichen Mittelmeer, einen fünften habe die Marine gerade dorthin beordert, heißt es aus dem Pentagon. Jedes dieser Schiffe hat Dutzende Tomahawk-Marschflugkörper an Bord.

Am Freitagabend könnte die US-Regierung ein Dossier mit Geheimdienstinformationen zum mutmaßlichen Giftgaseinsatz vorlegen. Das berichtet zumindest der TV-Sender CBS. Und die UN-Inspektoren, die die mutmaßlichen Giftgas-Einsatz untersuchen haben, werden ihren Einsatz am Samstag abschließen und das Land verlassen.

Wichtig sind die "weichen Faktoren"

Ist dann der Weg frei für den Einsatzbefehl? Nur, wenn Obama den UN-Sicherheitsrat außen vor lässt, in dem jede Resolution ohnehin durch ein russisches Veto blockiert wäre. Solange er keinen Krieg erklärt - und um größere Beteiligung und einen Regimewechsel soll es ja nicht gehen - kann der US-Präsident theoretisch seinen Streitkräften den Militäreinsatz befehlen.

In der Praxis freilich ist es komplizierter. Fast wichtiger als die formalen Rechte, die sich aus der Verfassung ergeben, sind für Obama bei der Entscheidung für den Kriegseinsatz die "weichen Faktoren". Kein Präsident kann es sich auf lange Sicht politisch leisten, einen Krieg zu führen, für den er keinerlei Rückhalt hat.

Obama müsste dabei argumentativ an zwei Fronten kämpfen, um es in der Militärsprache auszudrücke. Er muss sowohl sein Volk und die Abgeordneten zuhause von der Notwendigkeit eines Militärschlages überzeugen, als sich auch international Rückhalt verschaffen. Two-Level-Games, zu deutsch: Zwei-Ebenen-Spiele, nennen Politikwissenschaftler dieses Szenario, nach einem Ansatz des Spieltheoretikers Robert Putnam aus den Achtzigern.

Eines bedingt dabei das andere: Internationaler Rückhalt besänftigt die Kritiker zuhause. Obwohl seine Regierungssprecher stets betonen, dass der Präsident sich allein davon leiten lasse, "was im Interesse der USA liegt", weiß man im Weißen Haus deshalb um die Bedeutung internationaler Unterstützung. "Koalition der Willigen" ist seit dem Irak-Krieg ein verbrannter Begriff - doch genau so etwas sucht Obama.

Das britische Unterhaus hat entschieden, dass sich der engste translatlantische Verbündete nicht am Einsatz beteiligen will. In Frankreich hingegen will Präsident Francois Hollande nicht ausschließen, dass der Einsatz schon vor Mittwoch kommender Woche beginnt. Die Türkei könnte die Militärbasis in Incirlik zur Verfügung stellen. Die Arabische Liga hat den Giftgas-Angriff in einer Erklärung verurteilt, aber keinen Militäreinsatz gefordert.

Obama und das Geraderücken der "roten Linie"

Abseits der außenpolitischen Bemühungen müsste Obama allerdings auch die Amerikaner noch davon überzeugen, dass der Einsatz gegen Assad wirklich nötig ist und sein Ziel erreicht. Ziel, das bedeutet in diesem Fall keinen Regimewechsel, sondern das Geraderücken jener "roten Linie", die Obama mit dem mutmaßlichen Giftgas-Einsatz durch Assad verletzt sieht. Es soll ein begrenzter Militärschlag werden von zunächst nicht mehr als zwei Tagen Dauer.

Im Kongress, wo mehrere Abgeordnete in den vergangenen Wochen eine harte Haltung gegenüber Assad gefordert hatten, regt sich einem Bericht der New York Times zufolge trotzdem Unmut. Sowohl Republikaner als auch Demokraten fordern, das Parlament müsse in die Planungen stärker eingebunden werden und über militärische Aktionen abstimmen. Fast 200 Mitglieder des Repräsentantenhauses haben der Washington Post zufolge einen Brief unterschrieben, der genau das fordert.

Kritik am Kommunikationsverhalten des Weißen Hauses

Um die Abgeordneten beider Seiten zu informieren, gab es am Donnerstag eine Telefonkonferenz, an der neben Verteidigungsminister Chuck Hagel und Außenminister John Kerry auch die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice teilnahm. Hinterher, so hieß es, hätten bei den Beteiligten kaum Zweifel bestanden, dass Assad tatsächlich für den Giftgas-Einsatz verantwortlich sei. Allerdings habe es deutliche Kritik am Kommunikationsverhalten und an der militärischen Planung des Weißen Hauses gegeben.

Der Präsident müsste sich mächtig anstrengen, um sowohl den Kongress zu überzeugen, als auch das "kriegsmüde Land", sagt zum Beispiel der Republikaner Howard McKeon, der Mitglied im Verteidigungsausschuss ist. Mike Rogers, Republikaner aus Michigan und Mitgleid im Geheimdienstausschuss argumentiert ähnlich: "Wenn man ein solch schwierige Entscheidung trifft, muss man die Abgeordneten und die Öffentlichkeit einbeziehen. Beides ist eminent wichtig, aber keins von beiden ist bisher geschehen".

Selbst in der Armee gibt es offenbar große Vorbehalte gegen eine Syrien-Intervention. Wie die Washington Post berichtet, hätten eine Reihe hochrangiger Militärs ernste Bedenken angemeldet. Grund seien nicht nur die bitteren Erfahrungen in Afghanistan und im Irak, sondern auch die Tatsache, dass das Weiße Haus plötzlich und ohne eine kohärente Strategie eine Intervention erwäge.

Die unbeabsichtigen Folgen eines Angriffs auf Assad würden nicht genügend bedacht, zum Beispiel die Tatsache, dass Syrien in die Hände "fundamentalistischer Rebellen" fallen könnte oder Israel bei einer Ausweitung des Konflikts zum Eingreifen gezwungen sein könnte. Und die Frage, was passiere, wenn Assad auch nach den Militärschlägen Giftgas einsetze, sei völlig ungeklärt.

In der derzeitigen Lage sei der Sinn eines Schlages mit Marschflugkörpern "aus militärischer Sicht im besten Falle grenzwertig", heißt es. Die politische Klasse, so Generalleutnant Gregory Newbold, der im Irak-Krieg an verantwortlicher Stelle eingesetzt war, glaube "mit großer Naivität an die Verpflichtung der USA zum Eingreifen", lege aber "eine beängstigende Schlichtheit im Denken an den Tag, wenn es darum geht, einzuschätzen, was militärische Macht konkret erreichen kann".

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