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Flugverbot wegen Vulkanasche:Ramsauers Prinzip Pi mal Daumen

Verkehrsminister Ramsauer feiert sich für die Verbesserungen seit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull im vergangenen Jahr. Dabei hat sich seitdem - außer der Einführung von Grenzwerten - wenig geändert. Werte, die allerdings nur eine dünne wissenschaftliche Basis vorweisen können. Was noch schwerer wiegt: Bis jetzt hat kein einziges Flugzeug die tatsächliche Aschekonzentration gemessen.

Jens Flottau

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer wird in diesen Tagen nicht müde zu betonen, wie viel die Politik doch gelernt hat seit dem vergangenen Jahr, als die erste große Aschewolke über Europa zog und der Luftraum für sechs Tage mehr oder weniger pauschal geschlossen wurde. Der wirtschaftliche Schaden war damals enorm, etwa 3,5 Milliarden Euro weltweit, mehr als eine Milliarde alleine für die Fluggesellschaften.

Die Einschätzung des CSU-Politikers ist aber nur teilweise richtig. Denn eigentlich hat sich nur ein - zugegeben wesentlicher - Punkt geändert: Es gibt jetzt Grenzwerte, an denen sich die einzelnen Mitgliedsländer der Europäischen Union orientieren können, wenn sie sich entscheiden, ob sie ihren Luftraum schließen oder nicht. In der Theorie soll das dazu führen, dass nur dann Flüge ausfallen, wenn es wirklich nötig ist.

Doch die wissenschaftliche Basis der Grenzwerte ist noch sehr dünn, sie sind vor allem eine politische Größe, die etwa eine Woche nach dem Ausbruch des Eyjafjallajökull vor einem Jahr festgelegt wurde. Vielleicht aber sind sie viel zu niedrig angesetzt, vielleicht zu hoch.

Darüber hinaus beruhen die Entscheidungen, den Luftraum über Schottland und am Mittwoch über Norddeutschland zu schließen, alleine auf Computermodellen, in denen die Aschekonzentration prognostiziert wird.

Doch es ist bis jetzt kein einziges Flugzeug mit Messinstrumenten an Bord in Richtung Aschewolke gestartet, das feststellen könnte, ob denn die prognostizierten Werte mit den tatsächlichen übereinstimmen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat gerade erst Messergebnisse aus dem vergangenen Jahr veröffentlicht. Demnach lag die tatsächliche Aschekonzentration in der Luft bei allen Messflügen im April 2010 unter den Grenzwerten. Legt man also die heutigen Limits zugrunde, wäre vor einem Jahr auch kein einziger Linienflug ausgefallen.

Der erneute Vulkanausbruch macht deutlich, wie wichtig es ist, den zerstückelten Luftraum über Europa zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Immer noch können zu viele Behörden und einzelne Länder mitreden. Die Grenzwerte sind europaweit nur Empfehlungen und nicht verbindlich.

Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat sie nun zur Grundlage genommen, aber die Flugsicherungen in anderen Ländern müssen sich nicht unbedingt daran halten. Darüber hinaus ist es der Interpretation der einzelnen Behörden überlassen, welche Nachweise Fluggesellschaften bringen müssen, wenn sie trotz erhöhter Aschekonzentration fliegen wollen. Das können sie nämlich mit Hilfe von Ausnahmen.

Wenn die Wirtschaft - also Fluggesellschaften und Hersteller - die Versäumnisse der Politik kritisiert, dann ist das aber ebenso nur die halbe Wahrheit. Denn auch die Industrie ist nicht gut genug darin gewesen, Forschungsergebnisse und technische Erkenntnisse miteinander auszutauschen. Es gibt auch in der Branche zu wenig Koordination. Und auch wenn es so aussieht, als ob es beim Grímsvötn glimpflicher ausgehen wird als im vergangenen Jahr, kommt der nächste Vulkanausbruch bestimmt.

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