Wer darf in Deutschland auf Asyl hoffen - und wer nicht? Über diese Frage streiten Bundesregierung und Opposition seit Wochen. Anlass ist die Entscheidung des Bundestags vom Mai, in der Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden. Allerdings ist dafür die Zustimmung des Bundesrates notwendig. Die Entscheidung dort soll - nach langem Hin und Her - an diesem Freitag fallen.
Das Grundgesetz definiert im Sinne des Asylrechts ein Land dann als "sicher", wenn gewährleistet scheint, dass Menschen dort "weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung" zu befürchten haben. Für Asylbewerber aus diesen Ländern bedeutet das, dass ihr Antrag in der Regel als "offensichtlich unbegründet" eingestuft und damit abgelehnt wird. Sie werden zwar angehört, ihre Verfahren aber stark verkürzt. Bislang gelten alle EU-Mitgliedsstaaten sowie Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Albanien, Kosovo und Montenegro, außerdem Ghana und Senegal als sichere Herkunftsstaaten.
Regierung will in Asylverfahren "die Effizienz verbessern"
Aus Algerien, Marokko und Tunesien kommen vergleichsweise wenige Flüchtlinge an, ihre Zahl geht seit Jahresbeginn zurück: Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zufolge kamen im Januar noch 3356, im Februar dann nur noch 599 und im März 480 Asylsuchende aus den Maghreb-Staaten. Als Grund für den Rückgang nennt die Behörde das geplante Gesetz: Allein die Diskussion über die Klassifizierung der drei Länder als sichere Herkunftsstaaten habe dazu geführt, dass weniger Flüchtlinge aus dem Maghreb ankämen. Dem Innenministerium zufolge geht es nun darum, "die Effizienz in der Rückübernahmepraxis zu verbessern".
Die Bundesregierung argumentiert, dass Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten schon bisher in aller Regel nicht als Asylbewerber anerkannt würden: Die Schutzquote liegt für Marokkaner derzeit bei 2,2 Prozent, für Algerier bei 1,4 Prozent und für Tunesier bei 0,5 Prozent. Nach Einschätzung der Regierung sind die drei Länder politisch stabil und haben weitgehend funktionierende Verfassungen und Staatswesen.
Amnesty International und Pro Asyl sind allerdings anderer Ansicht und fordern, Deutschland dürfe nicht "aus innenpolitischem Kalkül schwere Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern kleinreden und ignorieren". Die Menschenrechtsorganisationen kritisieren die geplante Einstufung der drei Länder als sicher und verweisen auf Folter und die Verfolgung von Homosexuellen. Auch die beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas haben grundsätzliche Kritik am Konzept der sicheren Herkunftsstaaten geübt.
Wie sicher leben die Menschen in den drei Ländern? Eine Übersicht:
Algerien ist ein autoritäres Regime, Präsident Abdelaziz Bouteflika regiert seit knapp 17 Jahren. Da er aber schwer krank ist, ist nicht klar, wer tatsächlich die Macht im Land innehat. Anfang Februar stimmte das Parlament einer Verfassungsreform zu, die die Stellung des Staatschefs schwächt.
Amnesty International zufolge sind Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit in Algerien eingeschränkt. Versammlungen und Proteste werden oft gewaltsam aufgelöst. Regimekritiker wurden auch im Jahr 2015 verfolgt und Aktivisten zu Haftstrafen verurteilt. Pressefreiheit existiert demnach nicht: Kritische Journalisten werden unter anderem der Anstiftung zum Terrorismus beschuldigt, ein Fernsehsender wurde 2014 geschlossen.
Wirtschaftlich macht dem Land der sinkende Ölpreis zu schaffen, da mehr als 97 Prozent der Exporte auf Erdöl und Erdgas entfallen. Außerdem wird die innere Sicherheit von Islamisten auf der einen und sozialen Unruhen auf der anderen Seite bedroht. Die Grenzen zu Wüstengebieten sind schwer zu bewachen und die grenznahen Gebiete gefährlich, weil dort islamistische Milizen operieren. Gegen sie geht der Staat hart vor, mutmaßliche Unterstützer werden in Geheimgefängnissen ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten.
Homosexualität steht in Algerien unter Strafe, ebenso die Konversion vom Islam zu anderen Glaubensrichtungen. Frauen und Mädchen werden Amnesty zufolge vor sexueller Gewalt nicht ausreichend geschützt. So gilt beispielsweise eine Regelung, die Vergewaltiger von Minderjährigen vor Strafe schützt, wenn sie das Opfer heiraten. In Algerien gibt es zwar noch die Todesstrafe, sie wurde aber de facto seit 1993 nicht mehr vollstreckt.
Auch Marokko wird als autoritäres Regime eingestuft, dort regiert König Mohammed VI. als absoluter Herrscher. Nach den Protesten während des Arabischen Frühlings 2011 ließ der König eine neue Verfassung ausarbeiten, die seine Macht ein wenig einschränkt. Der Monarch gilt nun zwar nicht mehr als heilig, kritisieren darf man ihn aber trotzdem nicht. Amnesty zufolge werden nach wie vor das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Außerdem werde in marokkanischen Gefängnissen gefoltert, und auch politische Aktivisten und Kritiker würden inhaftiert und strafrechtlich verfolgt.
Kernproblem bleibt die schlechte wirtschaftliche Lage. Korruption ist im politischen System weit verbreitet, darf aber nicht kritisiert werden. Unter Marokkanern ist inzwischen die Redewendung "ein Land zum Sterben" gebräuchlich geworden, so groß ist die Enttäuschung über die Zustände im Land.
Ehebruch und Homosexualität sind in Marokko strafbar, die Strafen treffen auffallend oft politische Aktivisten. Bekannt wurde der Fall von zwei marokkanischen Männern, die auf einem Foto vor einer Sehenswürdigkeit in Rabat zu dicht beieinander standen und zu vier Monaten Haft verurteilt wurden, weil dies gegen den Anstand verstoßen habe.
Außerdem verletzt Marokko laut einem Amnesty-Bericht die Rechte von Migranten und Flüchtlingen: Diese würden willkürlich festgenommen und misshandelt. Auch in Marokko gibt es nach wie vor die Todesstrafe, auch wenn sie nicht vollstreckt wird.
Tunesiens Sicherheit ist derzeit vor allem aufgrund seiner Nähe zu Libyen gefährdet. Der sogenannte Islamische Staat hat bereits versucht, einen Ort nahe der libyischen Grenze einzunehmen, konnte aber von den tunesischen Sicherheitskräften zurückgeschlagen werden. Besonders problematisch: Die Angreifer wurden offenbar von Tunesiern unterstützt. Immer wieder erschüttern Terrorakte wie der Angriff auf ein Touristenhotel im Juli 2015 in Sousse das Land.
Zwar ist Tunesien das einzige arabische Land, dem nach dem Arabischen Frühling der Übergang in eine Demokratie tatsächlich gelang. Allerdings berichten Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von Folter. Auch die Todesstrafe wurde bisher nicht abgeschafft. Im vergangenen Jahr erhielt das "Nationale Dialogquartett" Tunesiens sogar den Friedensnobelpreis, aber das Land kann bis heute nicht allen seinen Bürgern Freiheit und Sicherheit garantieren.
Amnesty zufolge existiert ein Gesetzesvorschlag, der Sicherheitskräften den exzessiven Einsatz von Schusswaffen erlauben würde. Laut der Menschenrechtsorganisation würde dieses Gesetz, sollte es durchgesetzt werden, vor allem Journalisten und Regierungskritiker gefährden.
Wirtschaftlich ist vor allem die Rückständigkeit bestimmter Regionen des kleinen Landes problematisch, in denen die Infrastruktur schwach und die Arbeitsmöglichkeiten begrenzt sind. Da besonders unter jungen Menschen die Arbeitslosigkeit hoch ist, kommt es immer wieder zu sozialen Unruhen.
Homosexualität ist auch in Tunesien verboten, gleichgeschlechtlicher Sex kann nach wie vor mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden. Laut Verfassung sind Beleidigung des Islam und des Propheten verboten. Vergewaltiger kommen dagegen ohne Strafe davon, wenn sie ihr Opfer heiraten.