Süddeutsche Zeitung

Entlastungspaket:"Wir werden da durchkommen"

300 Euro für Rentner, 200 für Studierende. Die Koalition beschließt finanzielle Hilfen in Höhe von 65 Milliarden Euro. Der Kanzler stellt das Land dennoch auf schwere Zeiten ein - und bekommt Kritik von Opposition und Fachleuten.

Von Markus Balser und Constanze von Bullion, Berlin

Angesichts drastisch steigender Energiepreise hat sich die Ampelkoalition auf das bislang größte Hilfspaket geeinigt. Es sieht Entlastungen von insgesamt 65 Milliarden Euro vor. "Deutschland steht zusammen in einer schwierigen Zeit. Wir werden da durchkommen", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag in Berlin. Die ersten beiden Entlastungspakete hatten zusammen einen Umfang von 30 Milliarden Euro.

Allerdings waren zähe Verhandlungen nötig. Die Bundesregierung hatte zwar zuvor schon wochenlang über weitere Hilfen gesprochen. Doch die Positionen von SPD, Grünen und FDP lagen zunächst so weit auseinander, dass eine Einigung erst am frühen Sonntagmorgen nach 22-stündigem Ringen stand.

Scholz kündigte vor allem eine "große und dramatische Entlastung" auf dem Strommarkt an. Die Preise für den Grundbedarf bei Strom sollen gedeckelt werden. Um das zu finanzieren, will die Regierung "Zufallsgewinne" von Energieunternehmen abschöpfen oder schon vorab verhindern. Geplant ist, bei Stromherstellern, die kaum höhere Kosten, aber deutlich höhere Gewinne haben, einen zweistelligen Milliardenbetrag abzuzweigen. Dieser soll für niedrigere Rechnungen in Privathaushalten und kleinen Unternehmen sorgen. Man werde versuchen, diese Strompreisbremse mit den europäischen Partnern durchzusetzen. Allerdings sind viele Details offen.

Klar ist dagegen, dass Rentnerinnen und Rentner Zuschüsse bekommen. Sie erhalten zum 1. Dezember 2022 eine Energiepreispauschale von 300 Euro. Auch Studierende sollen einmalig 200 Euro bekommen. Einen Termin gibt es dafür allerdings noch nicht. Bund und Länder sollen beraten, wie das Geld auch Studierende schnell und unbürokratisch erreicht.

Spätestens zum Jahreswechsel kommen soll auch ein Nachfolger für das bundesweite Neun-Euro-Ticket. Ziel sei eine Preisspanne zwischen 49 und 69 Euro im Monat, heißt es im Beschlusspapier des Koalitionsausschusses. Allerdings könnte der Plan noch scheitern. Denn der Bund zahlt dafür nur dann 1,5 Milliarden Euro, wenn die Länder das auch tun. Diese hatten eine eigene Beteiligung bislang abgelehnt. Sie fordern stattdessen ein milliardenschweres Hilfspaket für die ÖPNV-Branche von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Zudem verzichtet die Koalition 2023 auf die geplante Anhebung des CO₂-Preises.

Geplant sind dafür höhere Zahlungen für Wohngeld- und Hartz-IV-Empfänger, mehr Kindergeld und ein Ende der kalten Progression. Damit ist ein Steuereffekt gemeint, der Gehaltssteigerungen wegen höherer Steuertarife direkt wieder auffrisst.

CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte das Paket in der ARD als unzureichend. Er habe er Zweifel, ob die Maßnahmen ausreichten für diejenigen, die so gerade so oberhalb der Wohngeldgrenze und der Sozialhilfesätze lägen. "Man hätte mehr tun müssen" für diese Menschen, sagte Merz, der auch Beschwerden des Mittelstands erwartet, an den "nicht gedacht wird".

Der Bundesverband der Deutschen Industrie kritisierte das Paket als "enttäuschend und unkonkret". Immer mehr Betriebe seien wegen "explodierender" Energiepreise existenziell bedroht", warnte Präsident Siegfried Russwurm. Vor einer "anhaltenden sozialen Schieflage" sprach der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte der Augsburger Allgemeinen, auch wenn einzelne Maßnahmen richtig seien: Die Ampel bleibe bei der "wichtigsten Herausforderung", der Begrenzung von Strom- und Gaspreisen, "eine Lösung schuldig". Die geplante Strompreispreisbremse sei "völlig unausgegoren", könne erst in Monaten umgesetzt werden und folge dem Prinzip Hoffnung. Auch von Umweltverbänden kam Kritik. Der Klimaschutz sei zu kurz gekommen.

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