Süddeutsche Zeitung

Entlastungspaket:Wie Bund und Länder um Milliarden feilschen

Die Bundesregierung will, dass die Länder 19 Milliarden Euro zum dritten Entlastungspaket beisteuern. Die fühlen sich übervorteilt und übergangen. Es ist ein Streit, in dem es um Stil, viel Geld und ums Prinzip geht.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Für den 28. September ist sie angesetzt, die Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz der Länderchefs mit dem Kanzler. Spätestens seit Corona klingt "Sonder-MPK" nach Streit und Nachtsitzung. Das könnte auch dieses Mal so kommen, allerdings wird es kommende Woche um eine Herbstwelle der anderen Art gehen: um die Kostenlawine, die in den kalten Monaten über Haushalte und Unternehmen hinwegzufegen droht.

Nachdem die Ampel Anfang September ihr drittes Entlastungspaket geschnürt hatte, dauerte es nicht lange bis zur ersten kritischen Wortmeldung aus den Ländern. Weil der Bund das 65-Milliarden-Euro-Paket nicht alleine finanzieren will, die Länder aber nicht wirklich nach ihrer Meinung gefragt hat, ist die Stimmung vor dem Treffen kommende Woche leicht gereizt. Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) sah bereits "drastische Haushaltsprobleme" auf die Länder zukommen und drohte damit, das Entlastungspaket im Bundesrat zu stoppen und den Vermittlungsausschuss anzurufen.

Auch NRW-Landeschef Hendrik Wüst (CDU) hat diesen Schritt ins Spiel gebracht. So weit geht Danyal Bayaz, grüner Finanzminister in Baden-Württemberg, zwar nicht. "Uns Ländern ist bewusst, dass Entlastungen dringend und wichtig sind", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Doch auch er betonte: "Aber wenn in Berlin Koalitionskonflikte mit Geld gelöst werden zu Lasten der Länder - dann können wir das nicht einfach mittragen."

Finanzminister Lindner zeigt sich von den Klagen nur mäßig beeindruckt

Vor knapp zwei Wochen hat das Bundesfinanzministerium ein erstes Zahlentableau zum Entlastungspaket veröffentlicht. Bei den 65 Milliarden Euro wären Länder und Kommunen demnach in diesem Jahr mit knapp einer Milliarde Euro dabei, kommendes Jahr mit knapp 18 Milliarden Euro. Zehn Milliarden soll die Abschöpfung von Stromgewinnen bringen, der Rest entfiele auf den Bund.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gab sich zum Wochenauftakt eher mäßig beeindruckt von den Klagen der Länder. Es sei doch klar, sagte er am Montag in Berlin, dass Bund und Länder ihren Anteil zu leisten hätten, wenn etwa die kalte Progression verhindert werden solle. "Ich glaube auch, dass die Länder die entsprechenden Möglichkeiten haben", fügte er hinzu. "Denn anders als der Bund haben viele Länder im Jahr 2022 keinen Gebrauch von der Ausnahme bei der Schuldenbremse gemacht."

Der Bund dagegen habe das in dreistelliger Milliardenhöhe getan. Im kommenden Jahr will Lindner aber auch im Bund die Schuldenbremse wieder einhalten - was seine Bereitschaft, den Ländern ihre Zustimmung abzukaufen, dämpfen dürfte. Die wiederum betonen, dass die Schuldenbremse ihnen vorschreibt, gar keine neuen Schulden machen zu dürfen - während der Bund einen kleinen Spielraum hat.

Haushaltspolitiker des Bundestags weisen regelmäßig darauf hin, dass auf die Länder inzwischen der größere Teil des gesamten Steueraufkommens entfalle. In einem internen Vermerk des Bundesfinanzministeriums, der der SZ vorliegt, ist von "Fehlentwicklungen zu Lasten des Bundes" die Rede, denen entgegengesteuert werden müsse. Die Finanzlage des Bundes sei im Vergleich zu jener der Länder in eine "evidente Schieflage geraten" - auch, weil der Bund finanziell immer stärker für Länderaufgaben in Anspruch genommen werde. Immer wieder habe der Bund zudem Umsatzsteueranteile an die Länder abgegeben, etwa in der Flüchtlings- und der Corona-Krise.

Zudem finanziert der Bund auch Aufgaben mit, die eigentlich Sache der Länder und Kommunen sind. Auf einer langen Liste mit milliardenschweren Beispielen finden sich in dem Vermerk etwa die Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung, der Digitalpakt Schule, der Ausbau der Ganztagsbetreuung in der Schule, der Kita-Ausbau oder die Regionalisierungsmittel. Die derzeitige Schieflage in der Finanzverteilung, heißt es, schränke die Möglichkeiten des Bundes ein, die vor ihm liegenden Zukunftsaufgaben zu bewältigen. Bei gesamtstaatlichen Krisen wiederum könnten sich die Länder "nicht aus ihrer ebenfalls gesamtstaatlichen Verantwortung eines bündischen Einstehens füreinander verabschieden".

Vier Milliarden Euro mehr - für Baden-Württemberg "ein echter Hammer"

Bayaz dagegen sieht erst 2020 eine Unwucht zu Lasten des Bundes, wegen der Corona-Hilfen. Auch auf die Finanzspritzen aus Berlin hat er einen anderen Blick. Er nennt es eine "Methode" des Bundes, Themen erst anzufinanzieren und die Länder dann, nach ein paar Jahren, mit den Kosten alleine zu lassen. Beispiele seien das Gute-Kita-Gesetz oder auch die geplante Nachfolgeregelung für das Neun-Euro-Ticket. "Das ist nicht fair den Ländern gegenüber."

Zudem stehen die Länder vor ihren eigenen Haushaltsproblemen. Bayaz etwa schnürt in Stuttgart gerade den rund 60 Milliarden Euro schweren Doppelhaushalt für die Jahre 2023 und 2024. Das geplante Entlastungspaket würde in diesem Zahlentableau mit etwa vier Milliarden Euro zu Buche schlagen. "Wir quetschen uns gerade Millionenbeträge aus den Rippen, da sind vier Milliarden ein echter Hammer", sagt er.

Bayaz rechnet für sein Land beispielsweise mit 230 Millionen Euro Mehrkosten für die Wohngeldreform; die geplante Kindergelderhöhung schlage 2023 mit 950 Millionen und 2024 mit 1,4 Milliarden Euro zu Buche, auch die verlängerte Umsatzsteuersenkung für die Gastronomie koste die Regierung in Stuttgart Geld. Bei den Ausgaben litten Länder und Kommunen zudem mehr unter der Inflation als der Bund - als Dienstherren für ihre Beamten und Angestellten, als Bauherren und beim Unterhalt ihrer Liegenschaften. Auch jenseits des dritten Entlastungspakets sieht der baden-württembergische Finanzminister "offene Fragen". Zum Beispiel die weitere Finanzierung der Flüchtlingskosten.

Den Ländern geht es mit ihrem Protest aber nicht nur um den Anteil, den sie übernehmen sollen, sondern auch um die aus ihrer Sicht fehlende Einbindung in die Pläne des Bundes. "Wir müssen als Länder konstruktiv mitarbeiten und auch die politische Realität in Berlin berücksichtigen", findet Bayaz. "Dass man uns dann aber was vor die Füße kippt mit der harten Erwartung, wir müssten das kritiklos mittragen - das geht nicht. Wenn es so liefe, könnten wir den Bundesrat ja gleich abschaffen."

Auch Füracker kritisierte, dass das "sogenannte Entlastungspaket" mit den Ländern nicht abgestimmt worden sei. "Das ist kein guter Stil", sagte er vergangene Woche. Und Wüst monierte, der Bund gehe automatisch davon aus, dass die Länder mitmachten. Dabei habe er "mit niemandem von uns gesprochen".

Bayaz setzt nun erst einmal auf die kommenden Gespräche mit dem Bund. "Und dann muss alles auf den Tisch." Wie reich der aber gedeckt sein wird, ist noch mehr als fraglich.

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