Enthüllungsplattform:Wikileaks will Assad-Regime bloßstellen

Ist es der nächste Coup des Enthüllungsportals? Wikileaks hat angekündigt, mehr als zwei Millionen Mails syrischer Behörden und Organisationen zu publizieren. Das werde "peinlich für Syrien, aber auch für dessen Gegner", sagt Julian Assange. Ein erster Einblick in das Material lässt jedoch viele Fragen offen.

Johannes Kuhn

Wikileaks meldet sich zurück: Die Organisation will in den kommenden Wochen und Monaten mehr als 2,4 Millionen E-Mails aus syrischen Ministerien und Behörden veröffentlichen. Das erklärten Vertreter der Organisation in London. Die "Syria Files" sollen Mail-Korrespondenzen von August 2006 bis März 2012 enthalten und von mehr als 680 syrischen Behörden und Organisationen stammen. Die Datenmenge sei acht Mal größer als bei den Cablegate-Veröffentlichung interner US-Botschaftsdepeschen.

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Wikileaks-Seite mit Bild von Julian Assange (Archivbild): Die Organisation will in den kommenden Wochen und Monaten interne E-Mails aus Syrien veröffentlichen.

(Foto: AFP)

Die Organisationen, deren E-Mails publiziert werden sollen, gehören nach Wikileaks-Angaben unter anderem zu Präsident Baschar al-Assad, sowie dem syrischen Außen-, Finanz-, Kultur- und Informationsministerium. Auch sollen sich Korrespondenzen mit ausländischen Firmen darunter finden, in denen es unter anderem um die Installation von Überwachungsgeräten gehen soll.

Ob die E-Mails valide sind und wie groß ihre Relevanz ist, lässt sich bislang noch nicht sagen. Wikileaks hat auf seiner Seite erst etwa zwei Dutzend Mails publiziert. Der Rest soll mit internationalen Nachrichtenorganisationen ausgewertet und veröffentlicht werden. Zu den Medienpartnern gehören unter anderem Associated Press (USA), L'Espresso (Italien), Publico.es (Spanien), der NDR und zwei arabische Publikationen.

Italienische und griechische Firma betroffen

Die ersten verfügbaren E-Mails beinhalten eine Korrespondenz zwischen der Syrian Wireless Organization (SWO), der griechischen Telekommunikationsfirma Intracom und Selex, einer Tochterfirma des italienischen Rüstungskonzerns Finmeccanica. Dabei geht es offenbar um die Lieferung von 500 Geräten für drahtlose Funknetzwerke.

Die Brisanz der ersten Veröffentlichung hält sich zunächst in Grenzen: Die Zusammenarbeit von SWO, Intracomm und Selex wurde bereits 2008 vereinbart und ist seitdem bekannt. Bei dem entsprechenden Netzwerk soll es sich laut der damaligen Pressemitteilung um ein Notfall-Funknetz für Polizei und Rettungskräfte handeln. Aus den E-Mails geht nicht klar hervor, ob die entsprechende Technik für Überwachungsmaßnahmen genutzt wird. Spionagetechnik an Syrien zu liefern, würde seit 1. Dezember 2011 gegen die EU-Sanktionen gegen das Assad-Regime verstoßen.

Die Kommunikation der Unternehmen mit der syrischen SWO dauerte bis Januar beziehungsweise Februar 2012 an. In den Mails ist auch davon die Rede, dass einige Teile für einen Chopper aufgrund der US-Sanktionen nur schwierig zu beschaffen seien. Ob mit Chopper ein Hubschrauber, ein Mottorad oder ein Wechselrichter gemeint ist, geht aus den Dokumenten nicht hervor. Ob sich um Teile einer Funkausrüstung handelt, ist ebenfalls unklar. Eine Süddeutsche.de-Anfrage hierzu blieb unbeantwortet.

Woher die aktuellen Datensätze stammen, ist unklar. Allerdings hatten Hacker aus dem Umfeld der Anonymous-Bewegung sich bereits im Februar Zugang zum E-Mail-Konto Assads verschafft und dabei Berichten zufolge auch Passwörter zu 78 Mailkonten von Regierungsstellen ergattert und veröffentlicht. 35 davon sollen mit dem Passwort "12345" gesichert gewesen sein.

"Peinlich für Syrien, aber auch für dessen Gegner"

Wikileaks-Gründer Julian Assange konnte bei der Pressekonferenz nicht anwesend sein. Er war nach der Bestätigung seiner Auslieferung nach Schweden durch das höchste britische Gericht in die ecuadorianische Botschaft geflohen, wo er sich derzeit aufhält. Assange, der im Verdacht steht, in Schweden zwei Frauen sexuell genötigt und in einem Fall vergewaltigt zu haben, versucht seit mehr als einem Jahr, seine Auslieferung in das skandinavische Land zu verhindern.

In einer Stellungnahme ließ der Australier erklären, das Material sei "peinlich für Syrien, aber auch für dessen Gegner". Auf der Wikileaks-Seite ist zu lesen, die Dokumente zeigten, dass "westliche Firmen eine Sache sagen und eine andere tun".

Die letzte relevante Wikileaks-Enthüllung liegt schon mehr als ein Jahr zurück; die im April 2011 veröffentlichten Geheimakten über Guantanamo-Insassen galten als letztes Material aus dem Datenschatz amerikanischer Sicherheitsbehörden, das Wikileaks zugespielt wurde. In den USA wird der Soldat Bradley Manning verdächtigt, die Dokumente weitergegeben haben. Ihm droht im Prozess vor einem Militärgericht eine lebenslange Haftstrafe.

Technisch und finanziell eingeschränkt

Wikileaks kann bereits seit längerem keine Dokumente mehr über die Plattform selbst entgegennehmen, zudem leidet man nach eigenen Angaben unter der "finanziellen Blockade" einiger US-Finanzfirmen, darunter Paypal, Visa, Mastercard, Western Union und die Bank of America, die keine direkten Spenden an die Organisation zulassen.

Im Dezember 2011 hatte die Plattform die "Spy Files" veröffentlicht, eine Stoffsammlung über die globale Überwachungsindustrie. Die publizierten Dokumente waren allerdings nicht geheim, sondern setzen sich aus Messepräsentationen oder Gebrauchsanweisungen für Spionageprodukte zusammen.

Die "Syria Files" fallen in eine andere Kategorie - ob sie wirklich Enthüllungen bieten, wird sich erst in den kommenden Tagen und Wochen zeigen. Dann will Wikileaks mit seinen Medienpartnern weitere Korrespondenzen veröffentlichen und auswerten.

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