Enthüllung über US-Geheimdienste:Was Amerikas neuer Whistleblower verrät

Barack Obama

US-Präsident Barack Obama lässt Whistleblower wie Edward Snowden mit der Härte des Gesetzes verfolgen, um Nachahmer abzuschrecken. Im Fall des neuen Infomanten ist das der US-Regierung nicht gelungen.

(Foto: AP)

Ein Geheimbericht zeigt, dass US-Agenten im Anti-Terror-Kampf weiter Unmengen von Daten sammeln. Offen wird zugegeben, dass Zehntausende Verdächtige keinen Kontakt zu Terrorgruppen haben. Weil das Dokument von August 2013 stammt, steht fest: Die Quelle kann nicht Edward Snowden sein.

Von Matthias Kolb

Der Hinweis auf eine weitere exklusive Quelle kam bereits vor einem Monat. Ausgerechnet am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, twitterte der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald: "Es scheint klar zu sein, dass es einen zweiten NSA-Informanten gibt."

Einen Monat später veröffentlicht das Online-Magazin The Intercept, das der Snowden-Vertraute Greenwald mithilfe des Ebay-Gründers Pierre Omidyar gegründet hat, einen zwölf Seiten langen Rechenschaftsbericht des National Counterterrorism Center (NCTC), wo die Erkenntnisse der US-amerikanischen Geheimdienste zusammenfließen. Darin loben sich die Autoren dafür, wie viele Terrorverdächtige sie in Datenbanken eingefügt hätten. Der Bericht (hier als PDF) ist als "SECRET" und "NOFORN" gelabelt - er hat also die zweithöchste Geheimstufe und ist nicht für Ausländer bestimmt. Am brisantesten ist jedoch, dass der Report vom 5. August 2013 stammt, weshalb Edward Snowden als Informant ausscheidet.

Damit bewahrheitet sich, was Glenn Greenwald andeutete: Es gibt einen weiteren Informanten aus dem Umkreis der National Security Agency, der interne Unterlagen öffentlich macht. Dem Nachrichtensender CNN zufolge kommt auch die US-Regierung zu diesem Schluss. Demnach versuchen die US-Agenten fieberhaft, die Identität des zweiten "Leaker" herauszufinden. Zudem werde überlegt, das US-Justizministerium um die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens zu bitten.

Ist dieser Whistleblower wirklich ein "zweiter Snowden"? Noch ist völlig unklar, wie viele Dokumente er oder sie kopiert hat, wie geheim diese sind und aus welchem Zeitraum sie stammen. Edward Snowden, der bis Mai 2013 für die NSA arbeitete und seit August 2013 Asyl in Russland gefunden hat, konnte Millionen Dokumente sichern. Viele haben die höchste Sicherheitsstufe "TOP SECRET". Die Enthüllungen des Whistleblowers haben dem Ansehen der USA weltweit geschadet - hierzulande sorgte besonders das Abhören des Merkel-Handys für großes Aufsehen.

Schlechte Nachrichten für Obama und die NSA

Bisher gibt es nur diesen einen Artikel, der auf Informationen des neuen Whistleblowers basiert. Für die US-Geheimdienste und die Regierung von Präsident Barack Obama ist der Artikel von The Intercept dennoch ein Fiasko. Staatliche Stellen gehen mit großer Härte gegen Whistleblower wie Thomas Drake, Chelsea (ehemals Bradley) Manning oder eben Edward Snowden (mehr über dessen "Kampf um den eigenen Ruf") vor. Diese werden oft wegen Landesverrats auf Basis des umstrittenen Espionage Act aus dem Jahr 1917 angeklagt.

Auch wenn die Sicherheitsmaßnahmen der Dienste verschärft wurden: Das schiere Ausmaß des nach den Terror-Anschlägen von 9/11 enorm angewachsenen amerikanischen Sicherheitsapparats macht es nahezu unmöglich, Leaks zu verhindern. Zwischen 2006 und 2011 hatten mehr als drei Millionen Menschen die Berechtigung, Geheimdokumente einzusehen. Da ist es mehr als wahrscheinlich, dass Greenwalds Aussage in einem CNN-Interview vom Februar 2014 zutrifft: "Ich habe keinen Zweifel, dass Edward Snowden eine Inspiration für andere Regierungsmitarbeiter sein wird, die enormes Fehlverhalten in ihrem Bereich sehen."

Wie US-Geheimdienste Hunderttausende auf Terrorlisten setzen

Der ausführliche Artikel von The Intercept, den der Investigativjournalist Jeremy Scahill verfasst hat, enthält zahlreiche interessante Details über die Datensammelwut der amerikanischen Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste.

  • Im Juni 2013 waren erstmals mehr als eine Million Menschen in den Datenbanken des "Terrorist Identities Datamart Environment" aufgeführt. 680.000 von ihnen befinden sich in einem anderen System, das als Grundlage für eine Liste unerwünschter Flugpassagiere (no-fly-list) dient, auf der 47 000 Namen aufgeführt sind. Dem Dokument zufolge (Original hier) gibt es bei 280 000 der 680 000 Personen keine bekannte Verbindung zu "Terrorgruppen" wie al-Qaida, Hamas oder Hisbollah. Nach welchen Kriterien sie als verdächtig eingestuft werden, bleibt unklar.
  • 20 800 US-Bürger beziehungsweise Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung in den USA werden verdächtigt, Verbindungen zu Terroristen zu haben und werden deswegen in den Datenbanken geführt. 5000 werden näher überwacht und 800 dürfen keine Flugzeuge besteigen.
  • Aufgeführt werden auch die fünf US-Städte, in denen die meisten "bekannten oder verdächtigen Terroristen" leben. Zwischen die Millionenmetropolen New York, Houston, San Diego und Chicago schiebt sich Dearborn in Michigan: In dem Vorort von Detroit mit 96 000 Einwohnern leben besonders viele Muslime, die offenbar als besonders verdächtig gelten. Im Juli 2014 hatte Glenn Greenwald enthüllt, dass FBI und NSA jahrelang prominente Muslime ausspioniert hatten (Details hier).
  • Die US-Geheimdienste versuchen, so viele biometrische Daten wie möglich zu sammeln. Dem Bericht zufolge existieren entsprechende Informationen wie Fingerabdrücke oder Iris-Scans über 144 000 Personen, die in den Datenbanken aufgeführt werden.
  • Die CIA verwendet ein bisher geheimes Programm namens "Hydra", das im Verborgenen Datenbanken anderer Staaten durchsucht und diese Informationen in die US-Systeme integriert.
  • Die US-Regierung fügt laut The Intercept jeden Tag 900 Informationen in ihr Datensystem ein - entweder neue Namen oder zusätzliche Erkenntnisse über bestehende Personen.
  • Nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon im April 2013 waren die Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft. Vor dem Marathonlauf in Chicago überprüften Analysten alle Personen in der Datenbank, deren Führerscheine in Illinois und den angrenzenden Bundesstaaten Indiana und Wisconsin ausgestellt wurden. Sie sahen anschließend jedoch keine Notwendigkeit, das FBI auf bestimmte Personen anzusetzen.

Sowohl das Weiße Haus als auch das NCTC, das die Erkenntnisse der vielen US-Geheimdienste bündelt und auswertet, lehnten einen Kommentar zur Veröffentlichung von The Intercept ab. Jeremy Scahill warf der US-Regierung via Twitter ein Ablenkungsmanöver vor: Um die Wirkung der Enthüllung abzuschwächen, hätten Beamte Informationen an andere Medien weitergegeben (Details hier).

Der 39-Jährige gehört neben Greenwald und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras zum Gründungsteam von The Intercept. In seinem 2013 erschienenen Buch "Schmutzige Kriege" hatte er US-Präsident Obama für dessen häufigen Einsatz von Drohnen kritisiert. Damals sagte er im Gespräch mit Süddeutsche.de, er halte Obama anders als George W. Bush und Dick Cheney nicht für einen Kriegsverbrecher: "Aber der ehemalige Verfassungsrechtsprofessor Obama verleiht den Methoden von Bush und Cheney Legitimität. Würde John McCain genauso vorgehen, dann würden die demokratischen Parlamentarier seine Amtsenthebung fordern."

Linktipps:

  • In diesem ausführlichen SZ-Artikel beschreibt Jörg Häntzschel unter Berufung auf ein internes Handbuch, dass Spekulation, Hörensagen und Verdachtsmomente ausreichen können, um ins Visier von US-Geheimdiensten zu geraten.
  • Die New York Times hat die jüngste Enthüllung von The Intercept in diesem Text gut zusammengefasst.
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