Süddeutsche Zeitung

Entführung el-Masris durch die CIA:Deutsche Justiz treibt Aufklärung voran

Lesezeit: 2 min

Bisher tappte die Justiz im Fall des entführten Deutschen Khaled el-Masri im Dunkeln: Seit Mitte 2004 ermittelt sie gegen unbekannt. Jetzt erfuhren die Staatsanwälte aus der Presse, dass das Innenministerium und das Kanzleramt offenbar seit längerer Zeit über die Hintergründe informiert sind. Das Berliner Wissen soll ihnen bei der Aufklärung helfen.

Die Staatsanwaltschaft München prüft, ob sie die Bundesregierung um Auskunft bittet. Der Leiter der Münchner Ermittlungsbehörde, Christian Schmidt-Sommerfeld, sagte der Süddeutschen Zeitung, Auslöser seien Medienberichte, wonach die Regierung schon länger über die Hintergründe des Falles informiert sei. Der frühere Innenminister Otto Schily hatte zugegeben, bereits im Mai 2004 von amerikanischer Seite informiert worden zu sein. Die Justiz erwäge nun Anfragen an das Innenministerium, das Auswärtige Amt und das Kanzleramt, "um die Aufklärung voranzutreiben". Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der Entführung seit Mitte 2004 gegen Unbekannt.

Der Anwalt Masris forderte eine Klarstellung durch Kanzlerin Angela Merkel. Merkel hatte nach einem Gespräch mit US-Außenministerin Condoleezza Rice erklärt, die amerikanische Regierung habe die Verschleppung Masris als Fehler akzeptiert. Rechtsanwalt Manfred Gnjidic verlangte am Donnerstag schriftlich Auskunft von Merkel. Falls sich die USA zu ihrer Verantwortung bekannt hätten, könne die Kanzlerin womöglich als Zeugin vor ein US-Gericht geladen werden. Dort klagt Masri gegen die CIA, die ihn 2004 fünf Monate lang in Afghanistan festhielt. Offiziell haben sich die USA bislang nie zu der Aktion bekannt.

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) beanstandete die Äußerung Schilys, er sei "nicht der Ermittlungsgehilfe der Staatsanwaltschaft". "Man muss sich fragen", so Merk zur SZ, "welches Staatsverständnis ein ehemaliger deutscher Innen- und Verfassungsminister hat, wenn er Kenntnisse, die er in einem solchen Fall gewinnt, nicht an die ermittelnde Staatsanwaltschaft weitergibt".

Unter dem Druck öffentlicher Kritik und wachsender Unruhe unter den europäischen Regierungen, ist US-Außenministerin Condoleeza Rice den Europäern weiter entgegengekommen. Der EU und der Nato sagte sie zu, dass die USA die "internationalen Vereinbarungen" nicht anders "auslegen" würden als die Europäer. Nach einem gemeinsamen Essen der Außenminister von Nato und EU am Mittwochabend, zeigten sich deshalb viele Länder vorsichtig zufrieden. Der belgische Außenminister und Gastgeber Karel de Gucht berichtete, Rice habe zugestanden, dass auch Terroristen unter den Schutz der Genfer Konvention fallen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier nannte die Zusage seiner amerikanischen Kollegin "einen guten Satz".

Rice sprach von dem "Dilemma", einerseits die bürgerlichen Rechte zu wahren und andererseits effektiv gegen Terroristen vorzugehen. Die Bürger müssten davon überzeugt werden, dass Geheimdienste die wichtigste Waffe im Kampf gegen den Terrorismus seien. Am Donnerstag räumte Rice indirekt den Transport von Gefangenen über Europa ein. Die USA, sagte sie, hätten aber den europäischen "Luftraum nicht benutzt, um Menschen in Länder zu bringen, in denen sie gefoltert" würden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.423115
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.12.05
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.