Süddeutsche Zeitung

Entführung:Ausgeliefert

In Vietnam beginnt der Prozess gegen den früheren Kader, den der vietnamesische Geheimdienst in Berlin auf offener Straße verschleppte. Er muss mit einem Schuldspruch rechnen. Deutschland setzt sich für seine Freilassung ein.

Von Ronen Steinke, Berlin

Die deutsche Regierung setzt sich gerade für eine Reihe von politisch Inhaftierten ein, vor allem in der Türkei. Journalisten, Menschenrechtler, Pilger. Da fällt dieser eine dann ziemlich aus dem Rahmen. Weder ist der Mann, dessen Prozess an diesem Montag beginnt, ein Deutscher, noch hält ihn die Bundesregierung unbedingt für unschuldig. Der einzige Grund, warum sie sich trotzdem seit Monaten für die Freilassung des 50-jährigen vietnamesischen Ex-Kaders Trinh Xuan Thanh aus der Haft in Hanoi einsetzt, ist die Art, wie er verhaftet wurde. Trinh wurde in Berlin gekidnappt. Er wurde auf offener Straße in einen Wagen gezerrt, offenbar von einem Kommando des vietnamesischen Geheimdiensts, am Vormittag des 22. Juli des vergangenen Jahres. Die Bundesregierung hatte zuvor mehrmals seine Auslieferung abgelehnt.

So dreist wird Deutschlands Souveränität selten missachtet. Außenminister Sigmar Gabriel zitierte den vietnamesischen Botschafter zu sich. Er bot zunächst an, Vietnam könne sich entschuldigen und erklären, dass "Rechtsbrüche dieser Art in Zukunft unterbleiben". Weil Vietnams Botschafter aber selbst dies ablehnte, wurde am 22. September ein Wirtschaftsabkommen ausgesetzt. Zwei Diplomaten des südostasiatischen Landes wurden ausgewiesen.

Der Gekidnappte ist ein in Ungnade gefallener Funktionär der herrschenden Kommunisten. Vorgeworfen wird ihm die Veruntreuung öffentlichen Vermögens, ein Prozess gegen den Ex-Kader Trinh hat für das Regime große politische Bedeutung. Das Gericht in Hanoi dürfte ihn für schuldig erklären. Der Parteichef der Kommunisten hat dies bereits getan. Trotzdem hat noch am Freitag die Asienbeauftragte des Auswärtigen Amts den vietnamesischen Botschafter in Berlin erneut zum Gespräch geladen, um ihm zu sagen, dass Deutschland den Prozess genau beobachten wolle. Denn offen ist noch, welche Strafe am Ende herauskommt. Dem Angeklagten droht die Todesstrafe. Das war der Grund, weshalb Deutschland ihn nicht ausliefern wollte. Wenn er nun wirklich diese Strafe erhalten sollte, würde dies eine neue Eskalationsstufe in den zwischenstaatlichen Beziehungen bedeuten.

Wie tief die vietnamesische Botschaft in Berlin in die Entführung verstrickt war, hatten Anfang Dezember die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR enthüllt. Dieser Bericht hat in Vietnam offenbar Aufsehen verursacht. Dem Vernehmen nach war das Regime in Hanoi vor allem erschrocken darüber, dass der Name des vietnamesischen Vize-Geheimdienstchefs hierzulande aktenkundig ist. Er war kurz vor der Entführung nach Berlin gereist. Die Bundesregierung könnte nun womöglich international nach ihm fahnden lassen.

Seine deutsche Anwältin durfte nicht einmal ins Land einreisen

In Vietnam soll der Gefangene Trinh seither unter Druck gesetzt worden sein, ein Geständnis abzulegen. Angeblich ist er daraufhin in Hungerstreik getreten und war mehrere Tage im Krankenhaus. Ein Geständnis hat er abgelehnt. In Hanoi hat er bislang nur Besuch von einem der vier Anwälte seiner Familie erhalten können. Seine deutsche Anwältin durfte überhaupt nicht ins Land einreisen.

Zuletzt hatte sich überraschend ein Mitarbeiter des vietnamesischen Geheimdiensts zu Wort gemeldet. Er bot der deutschen Regierung an, Insider-Wissen über den Hergang der Entführung Trinhs zu verraten; vor allem zur Frage, wer in Vietnam die ganze Aktion politisch in Auftrag gegeben hatte. Als Gegenleistung forderte er Asyl in Deutschland. Allerdings blieb der Mann in Singapur stecken. Das Regime in Vietnam hatte rasch seinen Pass annulliert. Eine Weiterreise war unmöglich. Inzwischen ist der abtrünnige Geheimdienstler wieder nach Vietnam zurückgeschoben worden - wo er sofort in Haft genommen wurde. "Der Fall ist uns bekannt", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Freitag. Auskunft zu dem Einzelfall wolle er nicht erteilen. Was der Hanoier Insider zu sagen gehabt hätte, wird man wohl nicht mehr erfahren.

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SZ vom 08.01.2018
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