Süddeutsche Zeitung

Debatte über Wohnungsnot:"Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen"

  • Die Idee von Enteignungen großer Wohnbaugesellschaften stößt in CDU und CSU auf massive Ablehnung. CSU-Parteichef Söder spricht von "sozialistischen Ideen".
  • Für Empörung sorgen Äußerungen von Grünen-Chef Habeck. Der hatte Enteignungen am Sonntag als "notfalls" denkbar bezeichnet.
  • Auch SPD-Vize Stegner sieht ein "Notwehrrecht" des Staates gegen "teilweise halbkriminelles Verhalten".
  • Linken-Chefin Kipping sieht die Mitte der Gesellschaft jeden Monat durch explodierende Mieten enteignet.

Das Berliner Volksbegehren über die Enteignung großer Wohnungsunternehmen hat eine heftige Debatte über den Sinn eines solchen Schritts ausgelöst. Eine Einlassung von Grünen-Chef Robert Habeck, wonach Enteignungen "notfalls" denkbar seien, sorgte vor allem in den Reihen der CSU für Empörung.

Der christsoziale Landesgruppenchef Alexander Dobrindt griff Habeck scharf an. "Wer wie Herr Habeck nach dem Motto 'Enteignen statt bauen' handelt, schafft nur neue soziale Ungerechtigkeiten und stellt den gesellschaftlichen Frieden in Frage", sagte Dobrindt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kommentierte die Diskussion um potenzielle Enteignungen mit dem Hinweis, diese sei so "überflüssig wie ein Kropf".

CSU-Generalsekretär Markus Blume warf Habeck vor, dieser habe "jegliche Orientierung verloren". Sozialistische Ideen hätten noch nirgendwo funktioniert, sagte er der Rheinischen Post. Wenn Habeck es ernst meine, könne er "mit seiner Enteignungsidee ja mal bei den Luxus-Penthouse-Wohnungen seiner Grünen-Anhänger am Prenzlauer Berg anfangen".

"Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun", befand auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dem Münchner Merkur zufolge. Und dessen Bauminister Hans Reichhart (CSU) sprach von einer "schwachsinnigen Debatte von vorgestern". Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Vize Armin Laschet befand: "Die alten Grünen sind wieder da."

Der Wohnbau-Experte der CDU/CSU-Fraktion, Kai Wegner, kritisierte die Debatte: "Damit streut man den Menschen nur Sand in die Augen", sagte er der Augsburger Allgemeinen. Nicht Enteignungen führten dazu, dass wieder mehr Wohnraum zur Verfügung steht, es müssten schlicht mehr Wohnungen gebaut werden.

Grünen-Chef Habeck hatte am Wochenende vorsichtige Zustimmung zu Enteignungen geäußert. Wenn etwa Eigentümer brachliegender Grundstücke weder bauen noch an die Stadt verkaufen wollten, müsse notfalls die Enteignung folgen, sagte er der Welt am Sonntag. Aber es müsse auch immer gefragt werden, ob Gelder, die zur Entschädigung bei einer Enteignung eingesetzt werden müssten, nicht mit größerem Effekt anders verwendet werden könnten.

Auch SPD-Bundesvize Ralf Stegner zeigte sich Enteignungen gegenüber grundsätzlich offen. "Es gibt teilweise halbkriminelles Verhalten, bei dem die Not der Mieter ausgenutzt wird", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "In diesen Fällen muss der Staat Handlungsfähigkeit beweisen." Enteignungen seien ein letztes "Notwehrrecht" des Staates. Stegner erinnerte daran, dass das Grundgesetz festlege, dass Eigentum verpflichte.

Enteignungen seien aber sicher nicht das vordringlichste Mittel, um das Grundrecht auf bezahlbares Wohnen durchzusetzen, schrieb er am Sonntag auf Twitter. Als vorherige Schritte nannte er "Mietenstopp", Bodengewinnbesteuerung, mehr Rechte für Mieter und die Förderung von Genossenschaften.

Städte- und Gemeindebund: Schon Debatte ist schädlich

Stegner stellte sich damit auch gegen SPD-Chefin Andrea Nahles. Die hatte sich in der Bild am Sonntag gegen Enteignungen ausgesprochen. Enteignungen dauerten Jahre und schafften "keine einzige Wohnung". Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, warnte in der Passauer Neuen Presse, man dürfe sich nicht "zu irrationalen und kontraproduktiven Scheinlösungen, wie der Enteignung, verleiten lassen". SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil schlug im Bild-Talk vor, stattdessen Mieten in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt vorübergehend einzufrieren. "In den Ballungsgebieten, dort wo es Schwierigkeiten mit den Mieten gibt, soll die Miete fünf Jahre nicht erhöht werden. Das würde den Wohnungsmarkt entlasten", sagte Klingbeil.

Linken-Chefin Katja Kipping warf der SPD Zögerlichkeit bei der Enteignungsfrage vor. "Ich wünsche mir mehr Mut von Andrea Nahles und der SPD", sagte sie der Welt. Die Mitte werde jeden Monat durch explodierende Mieten enteignet. "Deshalb brauchen wir die Sozialisierung der Wohnungskonzerne", forderte Kipping.

Der Städte- und Gemeindebund bezeichnete hingegen nicht nur Enteignungen, sondern schon die Debatte darüber als schädlich. "Durch derartige publikumswirksame Diskussionen, die sogar von einigen Politikern unterstützt werden, wird die Bereitschaft von privaten Investoren, neuen und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, im Zweifel deutlich reduziert", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, der Passauer Neuen Presse. Die Hoffnung, Enteignungen großer Wohnungskonzerne könnten die Wohnungsnot lindern, bezeichnete er als "Irrglauben".

Am Samstag hatten bundesweit Zehntausende gegen steigende Mieten demonstriert. Die Initiatoren des nicht bindenden Volksbegehrens in Berlin berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Er lässt unter Bedingungen die Überführung von Grund und Boden oder Produktionsmitteln gegen Entschädigung in Gemeineigentum zu. Der Vorstoß zielt vor allem auf den Konzern Deutsche Wohnen ab, der in Berlin etwa 112 000 Wohnungen besitzt. Der Aufkauf könnte das Land Berlin mehr als 30 Milliarden Euro kosten.

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