Es ist eine vernichtende Bilanz von fast 20 Jahren deutschen Engagements am Hindukusch. Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission konstatiert in ihrem Abschlussbericht ein „strategisches Scheitern“ des Afghanistan-Einsatzes Deutschlands und seiner internationalen Partner. Die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ wurde im Sommer 2022 eingesetzt, etwa ein Jahr nach dem überstürzten Abzug der internationalen Streitkräfte aus Afghanistan. Seitdem hat die überparteiliche Kommission aus Abgeordneten und Sachverständigen das deutsche Engagement in Afghanistan untersucht.
In ihrem Zwischenbericht im vergangenen Jahr kritisierte die Kommission das Fehlen einer realistisch umsetzbaren Strategie, einer kontinuierlichen und selbstkritischen Bestandsaufnahme sowie zu hoch gesteckte Ziele. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse und der Schlussfolgerungen von themenspezifischen Arbeitsgruppen hat die Enquete-Kommission nun 72 Handlungsempfehlungen für den künftigen deutschen Beitrag zur internationalen Krisenbewältigung erarbeitet. Trotz Teilerfolgen wie etwa der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen vor Ort, sowie Fortschritten bei Infrastruktur und Bildung wird die Afghanistan-Mission scharf kritisiert. Am Montag soll der Abschlussbericht im Bundestag verabschiedet werden. Ein Entwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Zuerst hatte der Spiegel über die Ergebnisse berichtet.
Künftige Einsätze brauchen klare und realistische Ziele
Der multinationale Einsatz in Afghanistan, der von 2001 bis 2021 dauerte, war mit hohen Verlusten und Kosten verbunden. Nach Angaben der Bundeswehr waren 93 000 Soldatinnen und Soldaten an der Mission beteiligt. 60 von ihnen kamen dabei ums Leben. Die Kosten des Einsatzes betrugen nach Angaben der Bundesregierung 17,3 Milliarden Euro.
In dem Abschlussbericht der Kommission heißt es nun, dass es angesichts der Erfahrungen in Afghanistan „dringend geboten“ sei, das deutsche Krisenmanagement an neue Entwicklungen und Herausforderungen anzupassen. So bedürfe es für künftige Einsätze einer ausformulierten Strategie, die klare, überprüfbare und realistische Ziele benennt und die angestrebten Wirkungen definiert. „Wesentlich für eine erfolgreiche Umsetzung sind eine fortlaufende Abstimmung und Kooperation auf nationaler Ebene zwischen den Ressorts und dem Parlament, aber auch auf internationaler Ebene“, heißt es. Die Strategie sollte demnach deutsche Interessen klar benennen, Zwischenziele definieren, sich aber auch Entwicklungen im Einsatzland anpassen können und eigene Fähigkeiten und Wirkungen realistisch berücksichtigen.
Bessere Kommunikation – und eine Exit-Strategie
Um Krisen frühzeitig erkennen und strategisch darauf reagieren zu können, sei etwa eine breite Wissensbasis und der Aufbau gemeinsamer Wissensbestände notwendig. Zudem bedürfe es einer langfristig angelegten Förderstruktur für universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen sowie eines verstärkten Austauschs zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass der „regelmäßige Informationsfluss und -austausch zwischen den Ministerien und dem Deutschen Bundestag“ intensiviert werden sollte. So sollte etwa die Bundesregierung den Abgeordneten jährlich einen eingestuften Bericht zur sicherheitspolitischen Lage und strategischen Prognose vorlegen.
Für künftige Einsätze sei zudem eine Exit-Strategie erforderlich, fordert die Kommissin. „Einsätze sollten von einer klaren Kommunikation durch die Bundesregierung begleitet werden“, heißt es in dem Bericht. „Internationales Krisenmanagement sollte realitätsnah, ungeschönt und glaubhaft von der strategischen bis zur Umsetzungsebene kommuniziert werden.“
Nach Auffassung der Enquete-Kommission sollte neben der Landes- und Bündnisverteidigung auch die Beteiligung an möglichen künftigen internationalen Einsätzen weiterhin einen hohen Stellenwert haben. Auch wenn es in Afghanistan nicht gut ging – oder gerade deswegen.