Bei schweren Ausschreitungen von Ultranationalisten in mehreren britischen Städten hat die Polizei insgesamt mehr als 90 Menschen festgenommen. Die antimuslimischen und nationalistischen Krawalle dauern bereits seit Tagen an. Ursache sind vor allem Falschmeldungen in sozialen Medien über die Identität eines Messerangreifers, der am Montag in der nordwestenglischen Stadt Southport drei Mädchen erstochen und mehrere Kinder sowie zwei Erwachsene teilweise lebensgefährlich verletzt hatte.
Mehrere Beamte wurden nach Angaben der Polizei verletzt, Geschäfte geplündert und Autos angezündet. In Liverpool entstand demnach schwerer Brandschaden in einer Bibliothek, die als Hilfsstelle für ärmere Menschen dient. Randalierer versuchten, die Löscharbeiten zu verhindern. Mehrere Polizisten seien verletzt worden. Die Merseyside Police nahm insgesamt 23 Menschen fest.
In der nordwestenglischen Stadt Blackpool gab es Zusammenstöße zwischen Ultranationalisten und Gegendemonstranten. Dort sowie in Preston und Blackburn nahm die Lancashire Police nach eigenen Angaben 20 Menschen fest. Im westenglischen Bristol gab es 14 Festnahmen, in Kingston upon Hull in Nordostengland waren es 20. Mindestens drei Polizisten wurden bei den Ausschreitungen verletzt, teilte die Humberside Police am Samstag mit. In der nordirischen Hauptstadt Belfast zerstörten Randalierer die Scheiben eines Cafés. Die Behörden rüsteten sich für neue Ausschreitungen.
Premierminister Keir Starmer beriet sich mit Kabinettsmitgliedern. Die Einsatzkräfte hätten seine volle Unterstützung, um gegen Extremisten vorzugehen, die Polizisten attackieren und versuchten, Hass zu schüren, sagte der sozialdemokratische Politiker.
Innenministerin Yvette Cooper sagte, Gesetzesbrecher würden einen hohen Preis zahlen. „Gewalttätigkeit hat keinen Platz auf unseren Straßen.“ Ihr konservativer Vorgänger James Cleverly forderte ein härteres Durchgreifen. Die Labour-Regierung müsse mehr tun, um die Gewalt der „Schläger“ zu stoppen, forderte Cleverly, der Nachfolger von Rishi Sunak als Chef der Konservativen Partei werden will. Die Ausschreitungen gelten als erste Prüfung für den neuen Regierungschef Starmer, der seit genau einem Monat im Amt ist.
Auch im nordostenglischen Sunderland hatten am Freitagabend Rechtsextreme die Polizei angegriffen. Die Scheiben einer Polizeiwache wurden eingeschlagen und ein angrenzendes Büro der Beratungsorganisation Citizens Advice angezündet. Zehn Menschen wurden festgenommen.
Vielerorts stellten sich Gegendemonstranten den Ultranationalisten entgegen. In einigen Städten wie Liverpool, Manchester und Blackpool in Nordwestengland erhielt die Polizei vorübergehend weitreichende Vollmachten, um potenzielle Randalierer aus dem Stadtgebiet zu verweisen.
Bekannter Rechtsextremist ruft zu Protesten auf
Bereits seit Tagen kommt es unter anderem im Londoner Regierungsviertel zu rechtsextremen Ausschreitungen. Ultranationalisten werfen den Behörden vor, sie würden über die Identität des Messerangreifers von Southport lügen. In sozialen Medien hatte sich nach der Bluttat am Montag das Gerücht breitgemacht, bei dem Täter handele es sich um einen muslimischen Asylbewerber. Die Polizei betont, der verdächtige 17-Jährige sei in Großbritannien geboren worden. Seine Eltern stammen aus Ruanda. Das Motiv ist unklar.
Der Teenager soll drei Mädchen erstochen sowie acht weitere Kinder und zwei Erwachsene teilweise lebensgefährlich verletzt haben. Er sitzt in Untersuchungshaft.
Zu den Protestveranstaltungen – wie in Suderland oft nahe einer Moschee – aufgerufen hatte der Gründer der rechtsradikalen English Defence League (EDL), Stephen Yaxley-Lennon, der unter dem Namen Tommy Robinson bekannt ist. Dabei wurden unter anderem antimuslimische Parolen gerufen. Er floh vor einigen Tagen aus dem Land, nachdem er in einem Fall wegen Verleumdung nicht zu einem Gerichtstermin erschienen war.
Kritiker werfen auch dem rechtspopulistischen Parlamentsabgeordneten Nigel Farage, der einst den Brexit maßgeblich vorantrieb, vor, sich an den Spekulationen über die Bluttat von Southport zu beteiligen und so die Unruhen zu schüren.