Süddeutsche Zeitung

Engagementbericht:Jung, engagiert, online

Nicht nur in Corona-Zeiten nutzen viele das Internet, um ihre Meinung zu sagen, Spenden zu sammeln oder den Wanderverein zu organisieren. Wie junge Menschen sich im Netz engagieren - und warum viele von ihnen das nicht einmal selbst bemerken.

Von Jana Anzlinger

Die Weltkugel, ein Baum, ein grünes Herz. Feuer, eine Tüte Konfetti, ein Emoji mit zusammengekniffenen Augen: Bereits vor dem Beginn der Corona-Pandemie haben die Protestierenden von Fridays for Future mit solchen Symbol-Kombinationen in Whatsapp-Gruppen zum Protest fürs Klima aufgerufen. Sich zu großen Kundgebungen zu versammeln geht jedoch derzeit nicht. Deshalb sind sie noch viel stärker im Netz aktiv, streiken online, per Videostream und Hashtag.

Beim globalen Klimastreik Ende April etwa posteten Aktivisten auf Twitter und Instagram Bilder von den Plakaten, mit denen sie normalerweise auf der Straße unterwegs wären, allein in Deutschland verfolgten Zehntausende eine Kundgebung im Livestream. Deshalb ist die Bewegung ein hervorstechendes Beispiel im "Dritten Engagementbericht" der Bundesregierung für "Junges Engagement im digitalen Zeitalter". Aus dem Papier, das eine Expertenkommission für die Regierung erstellt hat, geht hervor, dass junge Menschen das Internet nicht nur zum Protestieren nutzen, sondern auch für andere Formen des ehrenamtlichen Engagements.

Der Bericht, den das Kabinett am Mittwoch diskutiert hat, erscheint in jeder Legislaturperiode einmal. Dass das Internet für ehrenamtliche Tätigkeiten - wie für alle Bereiche des Lebens überhaupt - aufgrund einer Pandemie solche Bedeutung gewinnt, konnten die neun zuständigen Professoren zu Beginn der Arbeit in dieser Legislaturperiode noch nicht ahnen.

Umso besser passt der fertige Bericht nun in die Zeit. Sein Ergebnis ist eindeutig: "Es zeichnet sich eine Entwicklung in Richtung einer digitalisierten Zivilgesellschaft ab", heißt es in der Kurzfassung.

Von 1006 befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 27 Jahren haben demnach fast zwei Drittel angegeben, sich in den letzten zwölf Monaten für einen gesellschaftlichen Zweck eingesetzt zu haben - und von diesen Engagierten üben etwa 43 Prozent ihr Engagement teilweise, überwiegend oder vollständig mittels digitaler Medien aus.

Die digital Engagierten unter den jungen Menschen interessieren sich teils für andere Bereiche ehrenamtlicher Tätigkeiten als die nicht digital Engagierten, so der Bericht: Beispielsweise sind der Befragung zufolge in Feldern wie Kultur, Freizeit, aber auch Politik und Umweltschutz die digital Engagierten überproportional vertreten.

Warum engagieren sich die jungen Menschen? Bei den kaum digital Engagierten sind "Spaß" und "Geselligkeit" die wichtigsten Motive. Bei denen, die lieber allein vor dem PC oder am Smartphone aktiv werden, stehen Wünsche wie "etwas Sinnvolles zu tun" und "für die Gesellschaft etwas bewegen" im Vordergrund.

Generell erfüllen soziale Medien eine wichtige Funktion im Engagement: Für etwa 58 Prozent der Befragten sind sie für Organisationszwecke wichtig. Die Schüler der "Fridays for Future"-Bewegung sind ein gutes Beispiel für den organisatorischen Teil von Engagement - also dafür, wie das Miteinander von konkreter Aktion und ihrer Verbreitung über soziale Netzwerke und Messenger-Dienste funktioniert. Ohne Whatsapp-Gruppen, Facebook und andere digitale Kommunikationskanäle wäre die Bewegung in dieser Form nicht entstanden. Über solche Kanäle sprechen sich die Schüler ab und rufen zu Streiks auf.

Außerhalb der sozialen Medien haben dem Bericht zufolge digitale Plattformen eine wachsende Bedeutung - Plattformen, auf denen zum Beispiel Spenden gesammelt werden, in Echtzeit gemeinsam an Dokumenten gearbeitet wird oder Nutzer interessante Punkte auf einer Karte (zum Beispiel barrierefreie öffentliche Orte oder Münchner Lieferdienste) eintragen oder als Wanderverein die nächste Route planen.

Geht es um politische und gesellschaftliche Tätigkeiten, so spielt das Internet gerade für jene Befragten eine wichtige Rolle, die angeben, sich eigentlich nicht oder kaum online zu engagieren. Mehr als jeder Dritte Befragte gibt an, regelmäßig politische und gesellschaftliche Beiträge online weiterzuleiten. Unter denen, die sich als digital engagiert verstehen, sind es zwei Drittel.

"Die Beteiligung am politischen Diskurs im Netz und das Ausüben entsprechender kommunikativer Online-Aktivitäten haben damit in der Selbsteinschätzung der Jugendlichen nicht zwangsläufig den Status eines Engagements", schreiben die Experten.

Beim Fernsehen nebenher mal einen Text über Klimaschutz mit "Gefällt mir" zu versehen: Das wird als Clicktivism oder Slacktivism bezeichnet; die englischen Kofferwörter stehen für click activism, Klick-Aktivismus, und slacker activism, Faulenzer-Aktivismus. Man muss sich nicht mit Argumenten auseinandersetzen, wenn man schnell etwas likt, man kann einer Laune nachgeben, kann sein Gewissen beruhigen - fertig. Deshalb empfinden die Beteiligten ihre Meinungsäußerung offenbar oft nicht als relevant und tatsächlich reagiert die Politik seltener auf digitalen Aktivismus, wenngleich es Beispiele erfolgreicher Online-Petitionen und Hashtags (etwa #MeToo) gibt.

Dass digitales Engagement mitunter dermaßen mühelos geht, sollte es eigentlich zugänglicher machen. Das aber ist dem Bericht zufolge nicht unbedingt der Fall: Bildungsbezogene Ungleichheiten setzten sich eher fort als sich zu vermindern, so die Forscher.

Online und offline nicht für alle gleich zugänglich zu sein - mit diesem Problem haben sich zum Beispiel Fridays for Future seit einer Weile sehr beschäftigt. An sich aber scheinen heutige Bewegungen und Vereine besser für eine Pandemie gewappnet zu sein als jene vorheriger Generationen. Oder, wie es die Münchner FFF-Whatsapp-Gruppe formuliert, natürlich mit dem Emoji einer widerständlerisch erhobenen Faust versehen: "Wir bleiben da - ob online oder offline."

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