Energiewende:Zwischen den Welten

Energiewende: Solarpark in Marrakesch: Die Sonne heizt, die Generatoren brummen, die Energiewende stockt.

Solarpark in Marrakesch: Die Sonne heizt, die Generatoren brummen, die Energiewende stockt.

(Foto: Fadel Senna/AFP)

Alle reden vom Klimaschutz, Deutschland handelt - diese Botschaft will Bundesumweltministerin Barbara Hendricks in Marrakesch verbreiten. Die Wirklichkeit ist komplizierter.

Von Michael Bauchmüller, Ouarzazate

Seit drei Tagen ist Barbara Hendricks (SPD) auf der Klimakonferenz, jetzt braucht sie erst einmal einen Tapetenwechsel. Früh morgens besteigt die deutsche Umweltministerin am Donnerstag einen Charterflieger, er bringt sie einmal übers Atlas-Gebirge zu Marokkos Energiewende. Statt in den Verhandlungszelten der Klimakonferenzen zu hocken, stiefelt sie jetzt in Sicherheitsschuhen durch einen riesigen Solarpark - mit Parabolspiegeln bis zum Horizont. Gerade erst hat der Bund weitere 60 Millionen Euro an Krediten dafür locker gemacht, es ist die größte Solaranlage der Welt. "Beeindruckend, was hier technologisch stattfindet", sagt Hendricks. Einen Tipp an die Marokkaner hat sie auch noch dabei. "Verzichten Sie auf den Neubau von Kohlekraftwerken", empfiehlt die Ministerin aus Deutschland.

Es ist ziemlich genau der Satz, den sie im deutschen Klimaplan nicht mehr untergebracht hat: ein Nein zu neuer Kohlekraft.

Fast wäre Hendricks als gescheiterte Ministerin nach Marrakesch gereist

Was die Klimapolitik angeht, ist der Ausflug in die Wüste für die Ministerin aus Deutschland endlich mal wieder ein angenehmer Termin. Monatelang quälte sich ihr Haus durch einen Klimaplan, der Deutschlands Weg aus den Fossilen vorzeichnen sollte. Am Ende blieb ein Torso von einem Plan, der beinahe noch an ihrem Parteifreund, -chef und Kabinettskollegen Sigmar Gabriel gescheitert wäre. Eine Woche liegt nun zwischen diesem knapp vereitelten Desaster und den riesigen Parabolspiegeln, die aus Sonnenlicht warmes Wasser und aus warmem Wasser Strom machen. Eine Woche zwischen dem Ärger daheim und der Anerkennung in der Fremde - nichts kennzeichnet Hendricks Lage besser: Sie ist eine Ministerin zwischen den Welten. Auf Klimagipfeln wird sie mit offenen Armen empfangen, als Mitglied einer "Koalition der Willigen". Daheim ist die Koalition längst nicht so willig.

Das hat verschiedene Gründe, der wichtigste davon heißt: Sigmar Gabriel. Noch in keiner Koalition waren Umwelt- und Wirtschaftsministerium in der Hand derselben Partei. Angela Merkel und FDP-Mann Günter Rexrodt, der Grüne Jürgen Trittin und der konservative Sozialdemokrat Wolfgang Clement, der CDU-Mann Norbert Röttgen und FDP-Parteichef Rainer Brüderle - stets lag schon in dieser Konstellation die natürliche Spannung zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsressort. Es war diese Spannung, die einerseits jede Entscheidung zur Hängepartie machte, andererseits aber den Umweltministern die große Bühne schuf. Im Widerstand zum industriefreundlichen Wirtschaftsminister konnte sich noch jeder Umweltminister profilieren. Bis auf Hendricks.

Die hält sich beharrlich zurück. Streit mit Gabriel auf offener Bühne scheut sie - obwohl der Parteichef sie um ein Haar bis auf die Knochen blamiert hätte. Ohne Klimaplan hätte sich Hendricks die Reise nach Marrakesch sparen können, es wäre nur peinlich geworden. Doch Hendricks verkneift sich jeden Kommentar.

Es steckt mehr Loyalität dahinter als Verständnis. In Marrakesch sucht sie dafür eine eigene Sprache: Max Weber. Am Mittwoch soll sie auf einer aus Sperrholz gezimmerten Bühne in einem riesigen Zelt darlegen, was Deutschland für Klimaschutz so tut. Fünf Minuten stolpert sie auf Englisch durch ihre Rede. "Wir müssen den Text des Abkommens jetzt in Taten übersetzen", holt sie aus. Ziemlich anstrengend sei das. "Das erfahren sicherlich wir alle gerade, wenn es darum geht, den Klimaschutz beispielsweise mit den Kollegen in anderen Ressorts zu verhandeln." Schon Max Weber habe ja dargelegt, das Politik im langsamen Bohren harter Bretter bestehe. Und ja: Langsam bohrte zuletzt auch die Bundesregierung.

Ein Loch ist noch lang nicht in Sicht. Hendricks hatte die Falle geahnt, schon ganz zu Beginn ihrer Amtszeit. Ihre erste große Rede zur Umwelt widmet sie 2014 weniger der Ökologie als Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Unter den vielen Themen des "Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit" stürzt sie sich vor allem auf den Baubereich. Jahrelang war die Baupolitik ein Stiefkind diverser Verkehrsminister, die lieber neue Straßen bauen wollten als neue Häuser; erst 2013 wanderte sie ins Umweltressort. Hendricks macht auch daraus ein soziales Thema, gründet ein Bündnis für "bezahlbares Wohnen", fördert den sozialen Wohnungsbau und die "soziale Stadt".

Beim Bau muss Hendricks keine Rücksicht auf Parteifreunde im Kabinett nehmen. Wenn die oft so kühle Ministerin Leidenschaft erkennen lässt, dann für Häuser und Wohnungen, nicht für die Frage, um wie viele Grad Celsius es auf der Erde wärmer wird. Umso bitterer für sie, dass nun auch noch die Immobilienwirtschaft rebelliert. Sie sieht sich als Verliererin des Klimaplans, erkennt "vorerst keine Grundlage mehr für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit". Damit ist der Scherbenhaufen komplett, den ihr Klimaschutzplan in Deutschland hinterlassen hat. Mehr Ärger geht kaum für so wenig Ergebnis.

In der Wüste ist das alles weit weg, zumindest für ein paar Stunden. Die Sonne heizt den Solaranlagen ein, die Generatoren brummen. Das Ganze zeige doch, dass die Wende in vollem Gange ist, findet Hendricks. "Die Welt weiß eben mittlerweile, dass wir CO₂-frei werden müssen", sagt sie. Dann schiebt sie noch hinterher: "Jedenfalls fast alle wissen das."

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