Die Energiewende im Landkreis Biberach hat ein Problem. Zwar sagt der parteilose Landrat Mario Glaser, Energiesicherheit und bezahlbare Strompreise seien bei all seinen Begegnungen mit Unternehmern essenzielle Themen. Sie „wollen zum großen Teil die Energiewende mitgestalten und selber in Windkraft- und Solaranlagen investieren“, sagt er. Sie „werden aber bei der Windkraft im Landkreis komplett ausgebremst“. Und wer steht auf der Bremse? Die Bundeswehr.
Im Landkreis Biberach liegt der Militärflughafen Laupheim, weshalb sich weit und breit kein Windrad dreht. Und sich vermutlich auch weiterhin keines drehen darf. Denn in Laupheim ist das Hubschraubergeschwader 64 der Luftwaffe stationiert, hier findet auch die Ausbildung der Piloten statt.
Rund um den Flughafen hat die Bundeswehr Strecken markiert, auf denen die Soldaten Tiefflüge mit ihren Hubschraubern üben können, 1,5 Kilometer links und rechts davon dürfen zum Schutz von Material und Besatzung keine hohen Hindernisse stehen. Also auch keine Windräder. Dazu kommen Anforderungen an eine ungestörte Radarüberwachung. Für den Landkreis Biberach heißt das: Auf 81,3 Prozent der Fläche sind moderne Windräder, die mehr als 200 Meter hoch sind, nicht erlaubt.
Die Konflikte könnten sich sogar noch ausweiten
Die Region im Südosten von Baden-Württemberg ist sehr stark betroffen, doch Konflikte zwischen Militär und Windkraft gibt es auch anderswo. Und sie könnten sich ausweiten. Denn einerseits ziehen Anträge, Genehmigungen und Zubau von Windrädern nun merklich an, andererseits sollen im Angesicht der unsicheren Weltlage die Streitkräfte ertüchtigt werden. Energiewende contra Zeitenwende?
Bei einer Umfrage des Bundesverbands Windenergie (BWE) im Jahr 2021 gaben die Unternehmen an, militärische Bedürfnisse seien für sie ein wesentliches Hemmnis. Demnach waren deshalb damals 953 geplante Windräder mit einer Leistung von insgesamt 4841 Megawatt (MW) blockiert. Weit mehr als im vergangenen Jahr an Windkraft in Deutschland zugebaut wurde.
Baden-Württembergs Energieministerin Thekla Walker (Grüne) beklagt jetzt, dass auf 8,2 Prozent der Fläche des gesamten Bundeslandes grundsätzlich kein Windrad stehen darf, neben Biberach sei der Main-Tauber-Kreis im Nordwesten mit dem Heeresflugplatz Niederstetten besonders betroffen. Auch in Bayern seien teils halbe Landkreise berührt, sagt der dortige Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Etwa Neuburg-Schrobenhausen, Eichstätt, Landsberg am Lech, Unterallgäu oder Neu-Ulm.
Viele der blockierten Gebiete sind für Windenergieanlagen gut geeignet
Bei einer Pressekonferenz nach der Energieministerkonferenz im Mai wirkten Walker und Aiwanger merklich genervt. Schließlich hat die Ampelkoalition den Bundesländern aufgetragen, etwa zwei Prozent der Landesfläche als Vorrangflächen für Windräder zu identifizieren. Und während vor nicht allzu langer Zeit viele Landes- und Kommunalpolitiker gerade im Süden aufgrund möglicher Bürgerproteste klammheimlich froh waren, dass die Bundeswehr Windräder vor den heimischen Haustüren stoppte, drängt jetzt die Wirtschaft.
Firmen suchen seit dem Energiepreisschock durch den russischen Angriff auf die Ukraine nach relativ billiger, verlässlicher Energie. Da hätte manch einer gerne eine direkte Stromleitung vom Windrad zur Produktionshalle.
Viele der blockierten Gebiete lägen zudem günstig für Windenergieanlagen, gerade im Süden der Republik sei das oft der Fall, sagten Walker und Aiwanger. Offenbar schlägt die Bundeswehr bisweilen vor, kleinere Windräder zu bauen, was diese aber häufig unwirtschaftlich macht, weil der Wind gerade im Süden erst in größerer Höhe konstant weht. Deshalb forderte Aiwanger, die Bundeswehr müsse lernen, mit hohen Windrädern umzugehen. Walker sagt: Energiepolitik sei auch Sicherheitspolitik, „der Ausbau der Windkraft als Freiheitsenergie ist zentral wichtig, um die Unabhängigkeit Deutschlands von Importen weiter zu stärken“.
Es gibt bereits eine „Arbeitsgemeinschaft Windenergie und Bundeswehr“
Bremst die Bundeswehr also die Energiewende aus? Die will das so nicht stehen lassen. Ein Sprecher des zuständigen Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) erklärt, dass die Behörde in den vergangenen beiden Jahren bei etwa 95 Prozent aller Genehmigungsverfahren von Windkraftanlagen zustimmen konnte. Doch die Zeitenwende bedeute eben „eine noch stärkere Refokussierung der Streitkräfte auf die Landes- und Bündnisverteidigung“.
Der Schutz des Landes sowie des Nato-Gebietes erfordere, dass die Voraussetzungen für die notwendige Ausbildung und das erforderliche Training der Soldatinnen und Soldaten gewährleistet sein müssten. Das ließe sich nicht überall mit Windrädern vereinbaren. „Die Bundeswehr prüft deshalb in jedem Einzelfall gründlich und ergebnisoffen, ob einem Vorhaben zugestimmt werden kann, und zeigt im Falle von Konflikten – soweit möglich – Realisierungsperspektiven auf“, erklärt der Sprecher.
Die Bundesregierung hat auf den Konflikt bereits reagiert. Die Ministerien für Wirtschaft und Verteidigung gründeten im Frühjahr 2022 die „Arbeitsgemeinschaft Windenergie und Bundeswehr“, diese identifizierte deutschlandweit Flächen von insgesamt 8400 Quadratkilometern, wo Restriktionen durch das Militär zumindest weniger streng gelten sollen. Denn die exklusiven Schneisen und Gebiete für die Bundeswehr, das amerikanische oder auch das britische Militär gelten oft seit Jahrzehnten, stammen noch aus Zeiten des Kalten Kriegs und wurden bisweilen nicht auf ihre heutige Relevanz überprüft.
Tiefflugstrecken verlegen oder anpassen? Kaum möglich
Für die Windbranche ist die Einzelfallprüfung der Bundeswehr indes kaum vorhersehbar. Der Windverband erklärt, man vermisse hier ein einheitliches Vorgehen. Zudem „erlebten wir es in der Praxis häufig, dass sich die Bundeswehr erst sehr spät in den Prozess einbringt“, bei einer Ablehnung des Projekts sei dann viel Geld für Planung und Gutachten umsonst ausgegeben worden.
So zum Beispiel in Tübingen. Die dortigen Stadtwerke planen etwas außerhalb der Stadt drei Windräder. Einem Beschluss des Gemeinderats folgte die Suche nach Flächen, dann die aufwendige Artenschutzprüfung und die Untersuchung des Bodens. Im Januar dieses Jahres sollte das Genehmigungsverfahren beginnen, doch zuvor meldete sich die Bundeswehr. Der Standort liege in einer Hubschraubertiefflugstrecke, deshalb könne dem Projekt nicht zugestimmt werden. Das Projekt ist gestoppt.
Oberbürgermeister Boris Palmer (Freie Wähler) erklärt, in zwei Treffen mit der Bundeswehr hätte sich gezeigt, dass diese „durchaus flexibel reagieren könnte“, daran aber rechtlich gehindert sei. Es gebe erstaunlicherweise kein Verfahren, bestehende Tiefflugstrecken zu verlegen oder anzupassen. Dies habe er Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits mitgeteilt. „Eine Antwort steht noch aus“, so Palmer.
Auch in Biberach geben sie nicht auf. Der Landkreis gehört zu den wirtschaftsstärksten der ganzen Republik, weltweit aktive Unternehmen wie Boehringer Ingelheim (Pharma), Liebherr (Kräne) oder Kässbohrer (Geländefahrzeuge) sind hier ansässig. Laut einem neuen Regionalplan wären Anlagen aber nur in der Nähe von wenigen Gemeinden am Rande des Landkreises möglich, berichtet Landrat Glaser. Grundsätzlich gebe es zwar Unterstützung dafür, doch weil dort nun eine Ballung von Windrädern droht, „entstehen bereits Widerstände“ in der Bevölkerung.