Süddeutsche Zeitung

Energiewende:In der Flaute

Die Bereitschaft zur Umkehr hat nachgelassen, auch und gerade in der Politik. Vom großen gesellschaftlichen Aufbruch ist nicht viel zu spüren.

Von Michael Bauchmüller

Ginge es nach den nackten Zahlen, müsste sich um die Energiewende eigentlich niemand groß Sorgen machen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2019 stieg der Anteil des Ökostroms auf fast 42 Prozent, das ist so viel wie nie zuvor. Die Erzeugung von Strom aus Braun- und Steinkohle brach ein, um mehr als 20 Prozent. Der Atomkraft-Anteil ging planmäßig zurück, als weiteres Kernkraftwerk wurde Ende des Jahres Philippsburg 2 abgeschaltet. Also alles im Plan beim großen Umbau? Von wegen.

Die Energiewende stockt. Nirgends wird das 2019 sichtbarer als bei der Windkraft. Ganze 150 Windräder wurden in den ersten neun Monaten aufgestellt, so wenig wie nie seit Beginn des Jahrtausends. Reihenweise entlassen die großen Hersteller Leute und drosseln die Fertigung. Denn die Lage wird sich kaum entspannen: Bei den Ausschreibungen, in denen über die Förderung neuer Windparks entschieden wird, finden sich ein ums andere Mal weniger Projekte, als Zuschläge möglich wären. Was ist passiert? Die Energiewende hat Freunde verloren, auch und vor allem in der Politik. Noch 2011, als Union und FDP sie offiziell ausriefen, galt sie als "Gemeinschaftswerk", als großer gesellschaftlicher Aufbruch. Davon ist vor allem in der Union nicht mehr viel zu spüren. Gegner der Windkraft gewinnen an Einfluss. Bürgerinitiativen kämpfen gegen neue Windparks, Behörden fürchten Klagen und sind übervorsichtig bei jeder Genehmigung. Neue Abstandsregeln für Windräder, paradoxerweise Teil des Klimapakets der großen Koalition, könnten der Windkraft den Rest geben. Banken und Investoren macht all das skeptisch.

So ergibt eins das andere: Die Energiewende, das wichtigste deutsche Klimaschutz-Projekt, steht vor einem Einbruch. Denn was an Windkraft ausfällt, können Sonne oder Biogas nicht ausgleichen. Und damit wankt auch der Beschluss zum Kohleausstieg. Das alles wiegt fürs Klima umso schwerer, weil von einer Verkehrs- oder Wärmewende jede Spur fehlt. Im Verkehr stagnieren die Emissionen. Das Klimapaket der Koalition wird daran nichts ändern, alle Hoffnung ruht nun auf Elektroautos. Betrieben werden sollen sie, na klar, mit Ökostrom. Es gibt sie noch, die Leute in der Politik, die für erneuerbare Energien streiten, die das große Gemeinschaftsprojekt verfolgen und erklären, aber ihr Anteil ist 2019 geschrumpft.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2019
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