Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Da hilft die beste Chefin nicht

Bei der Energiewende machen es sich manche bequem: Sie verlassen sich einfach auf die Kanzlerin. Doch daraus wird nichts - denn woraus die Deutschen ihren Strom beziehen, aus Gas, Kohle oder Solarenergie, wird nicht im Kanzleramt entschieden.

Michael Bauchmüller, Berlin

Was die Energiewende angeht, scheint der Bundeskanzlerin selbst die Opposition übermenschliche Kräfte zuzutrauen. Angela Merkel, so forderten Politiker von SPD und Grünen zuletzt im Verein mit Umweltschützern, müsse die Energiewende zur Chefsache machen. Anders werde nichts daraus.

Chefsache - wenn das mal so einfach wäre. Denn ein knappes Jahr nach dem Atomausstieg erweist sich jede Hoffnung, eine solche Energiewende werde sich generalstabsmäßig planen lassen, als Trugschluss. Die derzeit größte Kraftanstrengung dieser Nation - sie liegt vor Bund und Ländern wie die Einzelteile eines 1000-Teile-Puzzles ohne Beispielbild. Und ständig scheint irgendein Teil zu fehlen.

Das liegt in erster Linie an einem Grundmissverständnis deutscher Energiepolitik. Denn woraus die Deutschen ihren Strom beziehen, ob aus Gas, Kohle, Sonne oder Wind, das ist nicht zuerst das Ergebnis politischer Entscheidungen, sondern von Marktwirtschaft. Ob Kraftwerke gebaut werden, entscheidet ein Konzern eben nicht wegen irgendeines hehren Polit-Projekts, sondern nach Profit.

Ein "Bayernwerk" à la Horst Seehofer nützt der Energiewende nicht

Ob weiter Solarmodule installiert werden, hängt nicht allein an der staatlichen Förderung, sondern auch am Preis. Und ob es dereinst genügend Stromnetze gibt, da reden auch Bürger mit, die vielleicht die Energiewende ganz prima finden, aber nicht den Strommast vor dem Wohnzimmerfenster. Da hilft die beste Chefin nicht.

Insofern war das Treffen der Kanzlerin mit den Länderchefs schon ein immenser Fortschritt; merkwürdig übrigens, dass sich die Beteiligten damit so lange Zeit ließen. Denn die Energiewende wird nur mit Subsidiarität im besten Sinne gelingen. Mit Ländern, die einerseits eine mehr und mehr dezentrale Versorgung mit Strom und Wärme organisieren; die aber auch bereit sind, dies mit anderen Ländern zu koordinieren - etwa beim Ausbau der Stromnetze.

Womit auch schon klar wäre, dass eine autarke Versorgung einzelner Bundesländer, und sei es mit einem "Bayernwerk" à la Horst Seehofer, zwar viel kostet, aber einer Energiewende nichts nutzen wird.

Es braucht dafür auch den Bund, vor allem für die Planung neuer Netze; für Rahmenbedingungen, die den Firmen sowohl den Ausbau erneuerbarer Energien schmackhaft machen als auch den Erhalt von Reservekraftwerken für Tage mit Flaute. Und es braucht dafür die Europäer. Denn je größer ein Stromsystem ist, desto besser lassen sich Schwankungen ausgleichen. Stromspeicher, wie es sie in Österreich, der Schweiz, in Norwegen gibt, könnten hierzulande manchen Mangel ausgleichen - sie werden nur kaum dazu genutzt.

Umgekehrt werden Nachbarn wie Polen und Tschechien irgendwann rebellieren, wenn ihre Stromleitungen dauerhaft zum Bypass für ein überlastetes deutsches Netz werden. Die Energiewende, und darin besteht die eigentliche Führungsaufgabe, gelingt nur denjenigen, die all das zusammendenken. Andernfalls wird sie scheitern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1365193
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.05.2012/ehr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.