Süddeutsche Zeitung

Atomkraft:Belgien steigt aus, Tschechien baut auf

Deutschland findet Nachahmer: Belgien will von 2015 an die ersten Kernreaktoren vom Netz nehmen. Darauf haben sich die künftigen Koalitionsparteien verständigt. Tschechien dagegen geht den entgegengesetzten Weg: Es will das Atomkraftwerk Temelin nahe der Grenze zu Bayern erweitern.

Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima will nach Deutschland jetzt auch Belgien aus der Atomenergie aussteigen - und zwar von 2015 an. Die künftige Regierungskoalition unter der Führung des wallonischen Sozialdemokraten Elio di Rupo will aber erst später festlegen, wann der erste Reaktor tatsächlich abgeschaltet wird und wie lange es dauert, bis der letzte stillgelegt ist. Belgien hat insgesamt sieben Reaktoren in den zwei Atomkraftwerken Doel und Tihange. Der Ausstieg soll von der Verfügbarkeit anderer Energiequellen abhängen.

Die Verhandlungspartner - sechs Parteien von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen aus dem niederländisch und französisch sprechenden Landesteil - bestätigten ein bereits 2003 verabschiedetes Gesetz über den Atomausstieg. Es sah vor, die ersten Kernreaktoren von 2015 an stillzulegen. Bis 2025 sollte der Ausstieg abgeschlossen sein, doch galt die Umsetzung mittlerweile als fraglich.

Ebenso wie Deutschland will Belgien nun stärker auf Elektrizität aus Windenergie setzen, die in der Nordsee gewonnen werden soll. Innerhalb von sechs Monaten nach der Regierungsbildung soll ein Zeitplan festlegen, wann welche Reaktoren geschlossen werden. Die Koalitionspartner wollen bereits 2015 das erste Kraftwerk stilllegen, hieß es.

Stark auf Gas- und Ölimporte angewiesen

In Belgien werden 55 Prozent des Strombedarfs durch Atomkraft gedeckt. Schon seit 1975 sind die beiden Atomkraftwerke in Doel bei Antwerpen (4 Reaktoren) und Tihange bei Lütttich (3 Reaktoren) in Betrieb. Weit mehr als 90 Prozent der eigenen Energieproduktion beruhen auf Atomkraft. Das Land ist daher stark auf Gas- und Ölimporte angewiesen, um seinen Bedarf zu decken.

Die künftige Regierung will prüfen, inwieweit eine Abgabe erhöht wird, die auf die Profite aus den bereits abgeschriebenen Atomkraftwerken erhoben wird. Mit dem Erlös aus dieser Abgabe sollen alternative Energien gefördert werden, die Preise auf dem Energiemarkt schärfer kontrolliert werden. Damit sollen "unangemessene" Preissteigerungen wegen des Ausstiegs verhindert werden.

Belgien ist seit mehr als 500 Tagen ohne gewählte Regierung. Mitte Oktober hatten schließlich konkrete Verhandlungen über die Bildung einer Regierung unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Di Rupo begonnen. Die Regierungsbildung wurde erst möglich, nachdem sich Vertreter der beiden Sprachgruppen auf eine Staatsreform geeinigt hatten.

Tschechien: "Nicht ohne die Kernenergie"

Während Belgien wie Deutschland aus der Atomkraft aussteigen will, hält Tschechien weiter an der Kernenergie fest: Es will das Atomkraftwerk Temelin nahe der Grenze zu Bayern erweitern.

Industrieminister Martin Kocourek übergab die Ausschreibungsunterlagen für den Bau von zwei weiteren Reaktorblöcken an Vertreter interessierter Firmen. "Wenn wir die Konkurrenzfähigkeit Tschechiens erhalten und die Emissionen verringern wollen, dann geht das nicht ohne die Kernenergie", sagte Kocourek in Prag. Die japanisch-amerikanische Firma Westinghouse, die französische Areva und ein tschechisch-russisches Konsortium haben jetzt acht Monate Zeit, um ihre Angebote vorzulegen.

Bis zum Ende des Jahres 2013 soll dann der Zuschlag erteilt werden. Die beiden neuen Reaktoren mit einer Gesamtleistung von mehr als 2000 Megawatt werden frühestens zehn Jahre darauf in Betrieb gehen. Das Akw Temelin stand wegen zahlreicher technischer Störungen seit der ersten Kettenreaktion im Dezember 2000 wiederholt in der Kritik.

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