Energiepolitik:Klar zur Wende

Sigmar Gabriels Reformpläne machen Hoffnung, dass die Energiewende gelingt. Sie versprechen Wandel und Kontinuität zugleich. Doch mit dem Vorstoß des Energieministers ist es längst noch nicht getan.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller

Deutschland in den Augen eines Kindes: Das ist ein Land, das im Norden und Osten im Dunkeln rot blinkt - wegen der vielen Windräder. In dessen Süden auf den Dächern große Glasplatten glänzen, während neben Autobahnen seltsame Gestelle stehen - Solarkraft. Das Deutschland der Kinder ist nicht mehr dasselbe Land, das ihre Eltern sahen, als sie noch klein waren.

Deshalb ergibt auch der Begriff "Energiewende" einen Sinn nur für diejenigen, die noch die alte Welt kannten, mit großen Kraftwerken, die mit Kohle oder Uran Dampf erzeugten und daraus Strom. Wer heute in dieses Land geboren wird, für den wird die "Energiewende" eines Tages eine historische Leistung sein, die Abkehr von einer Energieerzeugung, die riskant ist und unnütz Ressourcen verschwendet. Wenn sie denn gelingt.

Zu Beginn des Jahres 2014 ist das noch vollkommen offen. Deutschland ist ein Land zwischen den Welten, in dem so viel Braunkohlestrom erzeugt wird wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr, gleichzeitig aber in atemberaubendem Tempo eine neue Welt entsteht, voller roter Lichter und Solarmodule. Ob und wie es mit dem Umbau weitergeht, das hängt vermutlich mehr an dieser Koalition als an jeder Bundesregierung nach ihr. Sie hat es in der Hand, die Weichen zu stellen. Und was der neue Energieminister Sigmar Gabriel dazu in den erst vier Wochen seiner Amtszeit abgeliefert hat, das gibt einigen Anlass zur Hoffnung.

Denn Gabriels jüngste Reformpläne versprechen Wandel und Kontinuität zugleich. Einerseits wird es weiterhin eine verlässliche Vergütung für Ökostrom geben, das aber vor allem für günstige Energie aus Sonne und Wind. Andererseits werden sich die neuen Ökoanlagen schrittweise stärker am Markt behaupten müssen. Viele der Sonderregelungen und Boni, mit denen die Politik in den vergangenen Jahren versuchte, den Umbau zu steuern, fallen weg. Insgesamt, so scheint es, wird die Energiewende nun planbarer. Und vor allem: Sie geht weiter.

Allein diese Botschaft ist für Investoren von unschätzbarem Wert. Das überraschend schnelle Tempo, das Gabriel nun vorlegt, tut sein Übriges: Zum einen überrumpelt das die so rührigen Ökostrom-Lobbyisten, zum anderen schaffen die Eckpunkte, sofern das Kabinett sie annimmt, Investoren frühzeitig einen Eindruck vom weiteren Weg. Nichts wäre für die Energiewende schädlicher als eine lange, lähmende Debatte darüber.

Billiger freilich wird der Umbau durch die Vorschläge kaum. Die großen Kosten sind in der Vergangenheit angefallen, für eine noch wenig entwickelte Technologie, die sich gegen den Strom aus abgeschriebenen Großkraftwerken behaupten musste. Weil die - mitunter auch überhöhte - Förderung auf 20 Jahre hin gewährt wurde, bleiben die Milliarden den Stromkunden noch eine ganze Weile erhalten.

Die Wirklichkeit am Markt ist inzwischen eine andere: Neue Solarparks und Windräder an Land treiben kaum noch die Kosten der Energiewende, sie werden zunehmend konkurrenzfähig. Auch deshalb ist es so wichtig, die Weichen jetzt entschieden auf Wende zu stellen, ohne die Augen vor deren Problemen zu verschließen. Etwa vor dem Umstand, dass es zwar einerseits schön ist, wenn immer mehr Haushalte und Betriebe ihren eigenen Ökostrom erzeugen, sie aber damit für die Finanzierung der Energiewende ausfallen.

Besser regional steuern

Denn wer keinen Strom mehr kaufen muss, zahlt auch keine Ökostromumlage. Die wird nämlich per Stromrechnung erhoben. Oder der Tatsache, dass viel zu viele Unternehmen kaum noch eine Umlage zu zahlen haben, sehr zum Ärger auch der EU-Kommission. Hier ließen sich tatsächlich Milliarden einsparen.

Mit Gabriels Vorstoß ist es deshalb lang noch nicht getan. Völlig ungeklärt ist bisher, wie sich die Energiewende regional besser steuern lässt, sodass Ökostrom künftig nicht allein aus dem windreichen Norden kommt. Auch bräuchte die Energiewende mehr Unterstützung aus Brüssel, etwa durch effektive Klimaschutzpolitik. Wäre die EU hier konsequent, dann würde sie den schrittweisen Rückzug aus der klimaschädlichen Kohle vorbereiten. Doch das einzige Instrument dazu, den Handel mit Emissionsrechten, haben die EU-Staaten, auch Deutschland, verkommen lassen. Auch in Europa tobt die Schlacht der alten gegen die neue Welt.

Hierzulande wird sich in den nächsten Monaten weisen, ob sich die neue Welt durchsetzt. Vieles in den Vorschlägen Gabriels spricht für einen neuen Pragmatismus in der Debatte, für eine Überwindung alter Denkmuster, nach denen Energieformen entweder gut oder schlecht sind. Damit gewinnt die Energiewende jene Normalität, die sie in Kinderaugen längst hat. Verdient hat sie das.

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