Energiekrise:Auch die Schweiz muss Stromversorger retten

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Eines der vielen Wasserkraftwerke des Schweizer Stromkonzerns Axpo: das Aarekraftwerk in Döttingen im Kanton Aargau. (Foto: Andreas Haas/imago)

Axpo, einer der größten Energiekonzerne der Schweiz, braucht Hilfe vom Staat: Die Regierung hat nun einen Rettungsschirm für die Strombranche aktiviert.

Von Isabel Pfaff, Bern

Nach Deutschland, Österreich und mehreren anderen europäischen Ländern muss nun auch die Schweiz einen ihrer Energieversorger retten. Wie die Regierung, der Bundesrat, am Dienstagmorgen mitteilte, hat sie einen Rettungsschirm für Stromunternehmen aktiviert. Der Grund: Der Stromversorger Axpo, der neben zwei anderen Unternehmen als systemkritisch gilt, hatte den Schweizer Staat am Freitag um Hilfe ersucht.

Wegen der extremen Preissteigerungen auf den Energiemärkten habe Axpo um "temporäre Liquiditätsüberbrückung" gebeten, sagte Energieministerin Simonetta Sommaruga. Nach einer intensiven Prüfung habe sich der Bundesrat am Montag entschieden, Axpo einen Kreditrahmen von vier Milliarden Franken zu gewähren, um sicherzustellen, dass der Konzern zahlungsfähig bleibe. "Es geht darum, die Stromversorgung in der Schweiz sicherzustellen", sagte Sommaruga.

Damit ist die Energiekrise mit voller Wucht in der Schweiz angekommen. Bislang steckte das Land noch in den Vorbereitungen, zum Beispiel hat der Bundesrat erst Ende August ein Konzept für den Umgang mit einer Gasmangellage vorgelegt und es erstmal in die Beratungen mit den wichtigsten Beteiligten in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft geschickt. Parallel dazu ist im Land gerade eine Energiespar-Kampagne mit Tipps für Verbraucher angelaufen, unter dem Motto: "Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht."

Schweizer Unternehmen haben zurzeit einen enormen Liquiditätsbedarf

Denn auch wenn die Schweiz weniger gasabhängig ist als etwa Deutschland und sich insbesondere bei ihrer Stromproduktion zu fast 70 Prozent auf erneuerbare Energien stützen kann, ist auch sie betroffen von den heftigen Turbulenzen auf Europas Energiemärkten.

Erstens, weil auch die Eidgenossenschaft Gas braucht: Rund 15 Prozent des gesamten Schweizer Energieverbrauchs werden über Gas abgedeckt, und da es vor allem zum Heizen eingesetzt wird, beginnt jetzt im Herbst die heikle Phase.

Finanzindustrie
:Banken profitieren auch in der Energiekrise von Staatshilfen

In den Bankentürmen lobt man inzwischen sogar die Tatkraft der Bundesregierung. Die Erwartung ist, dass die Steuerzahler bei der Gaskrise den Großteil der Rechnung übernehmen werden, genauso wie in der Pandemie.

Von Meike Schreiber

Zweitens leiden auch die Schweizer Stromunternehmen unter den europaweiten Preisexplosionen beim Strom in den vergangenen Tagen. Denn hohe Preise sorgen zwar für satte Gewinne, erhöhen aber gleichzeitig die Sicherheitsleistungen, die Stromkonzerne bei langfristigen Lieferverträgen hinterlegen müssen. Auch Schweizer Unternehmen haben deshalb zurzeit einen enormen Liquiditätsbedarf. "Es ist paradox", so Axpo-Chef Christoph Brand in einer Mitteilung am Dienstag, "die langfristigen Aussichten von Axpo sind nach wie vor positiv, kurzfristig sind wir aber mit den Herausforderungen dieser historischen Energiekrise konfrontiert."

Drittens befindet sich die Schweiz beim Thema Energie auch politisch in einer schwierigen Lage. Das Verhältnis zur EU ist seit gut einem Jahr gestört, weil Bern die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen einseitig abgebrochen hat. Seither blockiert Brüssel die Aktualisierung bestehender und den Abschluss neuer Verträge. Ein Opfer dieser Blockade: das Stromabkommen, das die Teilnahme der Eidgenossen am Binnen-Strommarkt der EU gewährleisten sollte. Das würde auch in einem normalen Winter zu Problemen führen, denn schon bisher musste die Schweiz vor allem im Frühjahr Strom aus ihren Nachbarländern importieren, weil ihr eigener nicht reichte.

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Beim Gas ist die Schweiz vollständig von Importen abhängig

Jetzt hat der russische Krieg in der Ukraine das Problem noch verschärft. Nicht nur beim Strom, auch beim Gas, wo die Schweiz vollständig von Importen abhängig ist, wird Bern bald angewiesen sein auf die Solidarität der europäischen Nachbarn. Und die sind mehrheitlich nicht gut auf die als Rosinenpickerin verschriene Schweiz zu sprechen. Kein Wunder, dass man sich in Bern beeilte, das gleiche freiwillige Sparziel beim Gas auszurufen wie die EU: 15 Prozent bis Ende März 2023. Damit, so die Hoffnung, könnte die Schweiz auf die Solidarität der EU-Staaten hoffen, wenn es wirklich eng wird.

Zunächst können sich die Schweizer allerdings noch alleine helfen. Der jetzt aktivierte Rettungsschirm steht theoretisch allen drei großen Stromkonzernen des Landes - Axpo, Alpiq und BKW - zur Verfügung und umfasst insgesamt zehn Milliarden Franken an Finanzhilfen. Doch er verbindet die Kredite an die Stromversorger mit strengen Auflagen: So müssen die Konzerne von jetzt an eine Art jährliche Versicherungsleistung an den Bund von 15 bis 20 Millionen Franken zahlen. Für die Darlehen werden marktübliche Zinsen sowie ein Risikozuschlag fällig; beides kann sich auf bis zu zehn Prozent belaufen. Zudem gilt ein Dividendenverbot für die Konzerne, die die Staatshilfe in Anspruch nehmen.

Mit den Auflagen wolle man sicherstellen, dass sich die Konzerne über den Staat nicht billiger finanzieren können als auf dem Markt, sagte Sabine D'Amelio-Favez, Chefin der Eidgenössischen Finanzverwaltung, am Dienstag. "Der Kredit wird nicht billig sein." Auf Nachfragen von Journalisten, was mit den Gewinnen der Stromkonzerne geschehe, sagte Energieministerin Sommaruga, dass man dazu noch nichts entschieden habe, über diese Frage aber noch "intensiv diskutieren" werde.

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