Süddeutsche Zeitung

Energiekrise:Habeck rechnet bei Gas-Umlage mit "einigen Hundert Euro" Mehrkosten

Von Oktober an dürfen Gasversorger die höheren Importkosten auf die Endverbraucher umlegen. Dadurch ergebe sich eine Spanne von 1,5 bis fünf Cent pro Kilowattstunde, so der Wirtschaftsminister.

Von Oliver Klasen

Robert Habeck, der Bundeswirtschaftsminister, verwendet derzeit einen guten Teil seiner Arbeitszeit darauf, als warnende Stimme zu fungieren, und er sagt dabei einen Satz, der sich ein bisschen nach Angela Merkel zu Beginn der Pandemie anhört. "Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst", hatte die frühere Kanzlerin im März 2020 gesagt, als man noch dachte, die Corona-Krise sei eine Angelegenheit von Wochen oder jedenfalls wenigen Monaten. "Wir sind in einer ernsten Situation. Es wird auch Zeit, dass das alle verstehen.", sagte neulich auch Habeck in den "Tagesthemen".

Er meint: die Gaskrise. Verdreifachen, so sagen es Experten voraus, könnten sich im schlimmsten Fall die Abschlagszahlungen von Gasheizungskunden in Deutschland. Es sind Mehrausgaben, die Porschebesitzer in Münchner Einfamilienhaussiedlungen eher leicht wegstecken, aber eine alleinerziehende Friseurin an den Rand des Bankrotts bringen kann. Von etwa 300 Euro zusätzlichen Kosten hat Kanzler Olaf Scholz kürzlich gesprochen, aber möglicherweise hat er das Best-case-Szenario genannt. Bei einem Besuch im Energiepark Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt präzisiert Habeck die Angaben, nicht ohne zuvor noch einmal zu warnen und zu mahnen. Deutschland befinde sich in der "größten Energiekrise", die es bisher gegeben habe.

Für ein Einfamilienhaus könnte sich eine Summe zwischen 300 und 1000 Euro ergeben

Habeck spricht von "einigen Hundert Euro pro Haushalt", die Gas von Oktober an teurer werden könnte. Man rechne mit Mehrkosten in einer Spanne von 1,5 bis 5 Cent pro Kilowattstunde, so Habeck. Bei einem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden, der zum Beispiel in einem durchschnittlichen, nicht energetisch hocheffizienten Einfamilienhaus anfällt, ergibt sich daraus eine Summe zwischen 300 und 1000 Euro im Jahr.

Teurer wird das Gas deshalb, weil Energieunternehmen viel mehr für ihre Importe nach Deutschland zahlen müssen. Denn das Gas kommt nur noch zu geringen Teilen aus Russland, dafür aber etwa aus den Niederlanden oder Norwegen. Dort ist die Förderung teurer. Von Oktober an dürfen die Gasversorger diese höheren Importkosten auf die Endverbraucher, also Unternehmen und Privathaushalte, zu 90 Prozent umlegen. Das gilt selbst für laufende Verträge, die die Kunden eigentlich abgeschlossen hatten, um sich gegen steigende Gaspreise abzusichern. Per Ministerverordnung soll dafür Paragraf 26 des Energie-Sicherungsgesetzes in Kraft treten: Die Differenz zwischen den laufenden Tarifen und den Extra-Kosten der Importeure kann dann von den Versorgern per Schätzung bestimmt und auf alle Kunden gleichmäßig verteilt werden, sagen Regierungsvertreter. Im Nachhinein werden dann die tatsächlichen Kosten abgerechnet.

Zwischen 15 und 20 Prozent muss der Gasverbrauch in Deutschland sinken

Wie teuer das genau wird, dürfte erst Ende August klar sein, heißt es aus der Ampelregierung. Dass es teurer wird und die Verbraucherinnen und Verbraucher das auch spüren, ist durchaus politisch gewollt, um Einsparungen zu erreichen. Die sind nötig, um einen Gasnotstand abzuwenden. Zwischen 15 und 20 Prozent, so Habeck, müsse der Gasverbrauch in Deutschland im Vergleich zu den vergangenen Jahren sinken, um gut über den Winter zu kommen. Das entspricht in etwa auch dem Einsparziel, das die EU - allerdings mit zahlreichen Ausnahmen - Anfang der Woche beschlossen hat. Derzeit, so der Wirtschaftsminister vor einigen Tagen, liege Deutschland bei ungefähr 13 bis 14 Prozent Einsparung im Vergleich zum Vorjahr. Ein großer Teil davon ist jedoch dem warmen Winter und Frühjahr geschuldet. Ein extrem kalter November oder Dezember in diesem Jahr kann die Bilanz zunichtemachen.

Habeck betont, dass es gezielte Entlastungen für einkommensschwache Haushalte geben muss. "Gezielt entlastet heißt: Wir können nicht alle Kosten als Staat tragen. Aber die Menschen, die durch die höheren Energiepreise wirklich in Armut geführt werden, die müssen geschützt werden", so Habeck.

In der Ampelregierung gibt es unterschiedliche Vorstellungen von Entlastungen

Ins Detail gehen kann der Wirtschaftsminister nicht. Denn in der Ampelregierung gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Während FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner Steuersenkungen favorisiert, plädieren viele Grüne eher für Direktauszahlungen an Menschen mit geringen Einkommen.

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hat in der Rheinischen Post Vorschläge für ein Entlastungspaket gemacht: Die Sozialleistungen müssten umgehend um 100 Euro pro Person und Monat dauerhaft erhöht werden. Eine ähnliche Summe sollten Haushalte mit Einkommen von weniger als 40 000 Euro bis Ende 2023 bekommen. Zudem müsse der Gaspreis für geringe und mittlere Einkommen für 80 Prozent des Grundverbrauchs gedeckelt werden. Das würde soziale Härten abfedern, aber Einsparungen dennoch lohnend machen.

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