Energiekonzerne:Zu hohe Ansprüche

AKW

SZ-Grafik; Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz

Die Stromversorger hatten sich offenbar mehr von dem Urteil versprochen. Wegen der Energiewende brauchen sie gerade dringend Geld.

Von Varinia Bernau

Johannes Teyssen, der Chef des Energiekonzerns Eon, hatte vor Gericht den Kämpfer für Kleinanleger gegeben. Für Menschen, die Eon-Aktien gekauft hatten, in der Hoffnung, mit den erzielten Gewinnen fürs Alter vorzusorgen. In ihrem Interesse, sagte der Manager in Karlsruhe bei einer mündlichen Verhandlung im Frühjahr, bitte er um einen gerechten Ausstieg aus der Kernenergie. "Also um Entschädigung des Vermögens, das man uns aus politischen Gründen entzogen hat."

Das war nicht nur die Lesart von Eon, sondern auch die von RWE und Vattenfall. Die drei Konzerne hatten vor fünf Jahren gegen die Bundesregierung geklagt. Nicht weil sie den nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima eilig beschlossenen Atomausstieg kippen wollten. Sondern weil sie sich nach dem Zickzackkurs der schwarz-gelben Regierung in der Atompolitik enteignet sahen. Denn die hatte im Herbst 2010 erst den 2002 unter Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg zurückgenommen und sogar zusätzliche Strommengen in Aussicht gestellt. Nach dem Unfall im japanischen Fukushima im März 2011 machte sie dann aber eine radikale Wende: Die Regierung kassierte die erst kurz zuvor vereinbarte Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke in Deutschland wieder ein und beschloss einen schrittweisen Atomausstieg. Statt frühestens 2036 soll nun der letzte Meiler bis 2022 vom Netz gehen. Acht AKW wurden damals, im Frühjahr 2011, sofort stillgelegt.

"Es geht mir nicht um die Frage der Energiewende", hatte Teyssen vor Gericht beteuert, "es geht um eine faire Entschädigung." Und fair, das bedeute für Eon eine Entschädigung von etwa acht Milliarden Euro und für Vattenfall 4,7 Milliarden Euro. RWE nannte zwar keine Summe, Branchenbeobachter schätzten die Ansprüche aber auf sechs Milliarden.

Das wird es nun nicht geben. Und so gaben sich die drei Konzerne nach dem Urteil kleinlaut. "RWE wird nun die schriftliche Urteilsbegründung im Detail prüfen und dann über das weitere Vorgehen entscheiden", sagt etwa Matthias Hartung, der bei dem Konzern die Erzeugungssparte leitet. Ähnlich klingen die kurzen Stellungnahmen der beiden anderen Unternehmen: Nun sei der Gesetzgeber am Zug, der festlegen müsse, wie diese Ausgleichsregelungen genau aussähen. Dazu haben ihm die Richter eine Frist bis zum Juni 2018 gesetzt. Aber natürlich, hieß es bei allen Unternehmen, stehe man für konstruktive Gespräche bereit. Auch in den Konzernen werden sich jetzt die Juristen an eine genaue Analyse des Urteils machen. Deshalb lasse sich noch nicht sagen, wie man weiter vorgehen werde. Auch nicht, wie hoch eine Entschädigung am Ende ausfalle. Allzu groß ist die Hoffnung nach dem Urteil aber auch bei den Unternehmen nicht. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Berliner Umweltministerium, macht die Haltung der Bundesregierung schon mal klar: "Die Milliardenforderungen sind definitiv vom Tisch."

Dabei könnten die Energiekonzerne Geld gut gebrauchen. Nicht nur der beschleunigte Atomausstieg setzt sie wirtschaftlich unter Druck. Viel zu lange haben sie sich auch gegen andere Entwicklungen auf dem Energiemarkt gesperrt. Das stetig steigende Angebot von Wind- und Solarstrom hat den Preis für Energie aus konventionellen Kraftwerken stark gedrückt - und damit auch die Einnahmen von Eon, RWE und Vattenfall. Vor fünf Jahren wurde an der Börse die Megawattstunde Strom noch für 60 Euro gehandelt, derzeit liegt der Preis bei kaum mehr als 30 Euro. Mit all den Solaranlagen auf deutschen Dächern hat sich auch das Verhältnis zwischen Stromverbrauchern und Stromversorgern grundlegend geändert. Die großen Versorger müssen auf einmal ihren Kunden zuhören. Das erfordert mehr Empathie, als bisher in den Callcentern der Versorger verbreitet wurde. Denn über Jahrzehnte hinweg mussten die sich mangels Konkurrenz nicht um ihre Kundschaft bemühen.

Zwar haben Eon und RWE sich nicht zuletzt deshalb im Oktober jeweils aufgespalten. Das Geschäft mit den erneuerbaren Energien wurde von der Sparte mit den konventionellen Kraftwerken getrennt. Das soll den Zugang zu neuen Investoren erleichtern. Aber womöglich kommt diese Neuausrichtung zu spät. Die Vergangenheit lastet jedenfalls bleischwer auf den Bilanzen der Konzerne. Eon hat nach hohen Abschreibungen in den ersten neun Monaten dieses Jahres ein Minus von 9,3 Milliarden Euro verbucht. RWE peilt zwar im laufenden Geschäftsjahr einen Gewinn von bis zu 5,5 Milliarden Euro an, aber auch das wäre weniger als im vergangenen Jahr. Für die hohen Pensionsverpflichtungen, die beide Versorger gegenüber Mitarbeitern haben, müssen sie in Zeiten niedriger Zinsen ihre Reserven anzapfen.

Und dann sind da noch die enormen Kosten für die Entsorgung der atomaren Altlasten. Eine Regierungskommission hatte im April vorgeschlagen, dass die vier Betreiber der deutschen Atomkraftwerke, wozu auch noch der nicht an der Klage beteiligte EnBW-Konzern zählt, bis 2022 Geld in einen staatlichen Fonds überweisen. Der soll die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll managen, im Gegenzug sind die Konzerne raus aus der Haftung. RWE wird das etwa 6,8 Milliarden Euro kosten, Eon zehn Milliarden Euro.

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