Süddeutsche Zeitung

Endlagerung radioaktiver Abfälle:Strahlende Erblast

Die Zustände in der Asse sollten eine Mahnung sein: Die Hypothek der Kernenergie lastet schwer auf kommenden Generationen - und erlaubt deshalb keine Nachlässigkeit.

Wolfgang Roth

Dafür, dass nahe Wolfenbüttel in den sechziger Jahren nur eine Art Versuchslabor zur Endlagerung radioaktiver Abfälle entstehen sollte, ist der Abraum gewaltig. Vor dem Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtags, der in den nächsten Monaten die Gefährlichkeit des Lagers Asse klären soll, liegt noch die gewaltige Strecke von vielen hundert Aktenordnern, die im besten Fall Aufschluss geben über den nonchalanten Umgang mit strahlendem Müll, über die Bunkerung in ausgebeuteten Salzstollen, die systematisch als Endlager missbraucht wurden.

Und noch viel länger wird das Bundesamt für Strahlenschutz brauchen, um das absaufende Bergwerk so zu stabilisieren, dass von ihm langfristig keine Gefahr ausgeht. Deutschland hat, was die sichere Verwahrung solch riskanter Hinterlassenschaft angeht, eine miserable Bilanz vorzuweisen. In der Asse häuften sich mit den Fässern die Schludrigkeiten an, ohne dass sich die Aufsichtsbehörden sonderlich bekümmerten - auch nicht die SPD-geführten, atomkritisch auftretenden Landesregierungen früherer Jahre.

Dem DDR-Bergwerk Morsleben erteilte die damalige Umweltministerin Angela Merkel nach der Wiedervereinigung, trotz ernsthafter Experten-Warnungen, im Schnellverfahren eine Betriebsgenehmigung, die in der Bundesrepublik nach Atomrecht nie und nimmer erteilt worden wäre. Müll wurde dann dorthin gekarrt, bis einstürzendes Deckengestein keine andere Möglichkeit mehr ließ, als das Werk zu schließen.

Viel Zeit verplempert

In beiden Fällen ging es aber gottlob noch nicht um die stark strahlenden Abfälle aus den Reaktoren und der Wiederaufbereitung, sondern um die geringere Wärme entwickelnden Rückstände, wie sie auch in der Industrie, in Forschung und Medizin anfallen. Für sie wird wohl von 2013 an die Eisenerzgrube Schacht Konrad zur Verfügung stehen. Wo aber sollen die Brennstäbe der Kernkraftwerke unterkommen, wenn sie eine erste Abkühlphase hinter sich haben? Es gibt darauf, 35 Jahre nachdem die erste Atomanlage Strom ins deutsche Netz einspeiste, keine plausible Antwort.

Es sei denn, man hält das Erkundungsbergwerk in Gorleben für den geeigneten Standort. Eine Mehrheit in der Union, die FDP und die Energiewirtschaft - sie alle haben daran keinen Zweifel. Aber die Zweifel sind beträchtlich, dass dies eine gute Entscheidung wäre, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt. Die Crux ist, dass so viel Zeit verplempert wurde für eine wirklich offene, nur fachlichen Kriterien verpflichtete Suche nach dem bestmöglichen Ort.

Ob Salzformationen wirklich die erste Wahl sind, ob nicht doch Granit besser zur sicheren Verwahrung über Hunderttausende von Jahren geeignet ist, weiß bis heute niemand. Vor allem aber ist offenkundig, dass nicht nur, aber auch politische Erwägungen eine Rolle spielten für die Auswahl des Standorts im Wendland - in einer dünn besiedelten Region gelegen, wo Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), lang, lang ist's her, einen Atom-Komplex mit Endlager und nationaler Aufbereitung anstrebte und die Kreispolitiker nach Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen dürsteten.

Rot-Grün hat für Gorleben ein Moratorium verhängt; das bringt einerseits Zeitverlust, andererseits aber die womöglich letzte Chance für eine wissenschaftlich fundierte und somit politisch legitimierte Standortsuche. Das Moratorium läuft nächstes Jahr aus, und das bedeutet, dass sich die nächste Regierung, egal welcher Couleur, nicht mehr vor einer Entscheidung über das weitere Vorgehen drücken darf.

Es kann eine Entscheidung für Gorleben sein, ein trotziges Beharren auf der einmal eingeschlagenen Richtung. Dafür spräche die Tatsache, dass hier im Wendland schon ungefähr 1,5 Milliarden Euro ausgegeben wurden. Dagegen spräche der Makel der Voreingenommenheit, der einer Politikerkaste anhaftet, die sich weltweit mit ihrer einmaligen Sicherheitskultur in der Nutzung der Atomenergie brüstet. Schlimmer noch als der Makel aber wiegt der Vorwurf, Menschenleben aufs Spiel gesetzt zu haben.

Eine Herausforderung, die Rückgrat erfordert

Die Alternative ist klar, sie wurde in einem "Arbeitskreis Endlager" entwickelt, dem Kritiker und Befürworter der Kernenergie angehörten, bis die Atomwirtschaft die Runde verließ. Es wird noch einmal viel Geld kosten, einen fairen Standort-Vergleich anzustellen, ob im Norden oder im Süden der Republik, in Salz oder Granit, im Einflussbereich der Union oder den Rückzugsgebieten der SPD. Und es wird überall massiven Widerstand gegen die Auswahl geben. Sich über diesen Protest hinwegzusetzen, ist eine Herausforderung, die Rückgrat erfordert, aber zu bewältigen ist.

Die Zustände in der Asse, das Augen-zu-und-durch in Morsleben sollten eine Mahnung sein. Mit einem Untersuchungsausschuss lässt sich manchmal Verantwortung zuordnen, aber nichts mehr kitten. Die Hypothek der Kernenergie lastet schwer auf kommenden Generationen und erlaubt keine Nachlässigkeit.

Sollte die Regierung wieder von einer großen Koalition gebildet werden, darf sie das Endlager nicht erneut um des internen Friedens willen ausklammern. Werden aber Union und FDP regieren, sollten sie sich gut überlegen, ob sie den Frieden aufs Spiel setzen, den der Atomkonsens dem Land immerhin beschert hat.

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SZ vom 17.08.2009
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