Ende der Waffenruhe:Ukrainische Truppen greifen offenbar Separatisten an

"Wir werden in die Offensive gehen und unser Land befreien": Der ukrainische Präsident Poroschenko hat eine Verlängerung der Waffenruhe in der Ostukraine verweigert - jetzt geht die Regierung in Kiew nach eigenen Angaben wieder militärisch gegen die Separatisten vor.

  • Ukrainische Armee setzt Einsatz im Osten des Landes fort
  • Präsident Poroschenko will Gebiete unter Kontrolle der Separatisten gewaltsam zurückholen
  • Diplomatenkreise: EU bereitet neue Sanktionen gegen Russland vor

"Anti-Terror-Operation" wird fortgesetzt

Am Montagabend verkündete der ukrainische Regierungschef Petro Poroschenko das Ende der Waffenrufe - jetzt hat die ukrainische Armee ihren Einsatz gegen die prorussischen Separatisten im Osten des Landes wiederaufgenommen. Die "Anti-Terror-Operation" werde seit dem Morgen fortgesetzt, teilte Parlamentspräsident Alexander Turtschinow in der Hauptstadt Kiew mit. Das berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax. Die Aktion der Streitkräfte zielen auf "Stützpunkte und Hochburgen der Terroristen" ab.

Kremlchef Wladimir Putin das Ende der Waffenruhe in der Ukraine vor russischen Diplomaten bedauert. "Leider hat Präsident Poroschenko entschieden, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen", sagte Putin bei einer im Staatsfernsehen übertragenen Rede. Damit habe der ukrainische Staatschef erstmals direkt die volle politische Verantwortung für das Blutvergießen auf sich genommen, betonte der russische Präsident. Krieg sei nicht der richtige Weg, um den Konflikt im Osten der Ex-Sowjetrepublik zu lösen. Die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine fühle sich bedroht.

Feuerpause überraschend nicht verlängert

Poroschenko hatte die Waffenruhe vor zehn Tagen ausgerufen und am Freitag verlängert, sie in der Nacht zum Dienstag jedoch für beendet erklärt - trotz internationalen Drucks. "Wir werden in die Offensive gehen und unser Land befreien. Die Nichtfortsetzung der Feuerpause ist unsere Antwort an die Terroristen, Freischärler und Marodeure", sagte Poroschenko. Kiew habe gezeigt, dass es "diesen von außen provozierten Konflikt friedlich regeln" wolle, doch die Aufständischen hätten mit "verbrecherischen Taten die einmalige Chance zur Umsetzung des Friedensplans" zunichtegemacht.

Die Entscheidung kam überraschend, da die Regierungen in Kiew und Moskau gemeinsam auf eine beiderseitige Waffenruhe zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatisten hinarbeiten wollten. Darauf hatten sich Russlands Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Poroschenko am Montag in einem Telefonat geeinigt, wie das französische Präsidialamt mitteilte. An dem Telefonat nahmen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande teil.

EU-Diplomatenkreise: Neue Sanktionen gegen Moskau in Vorbereitung

Angesichts der Ereignisse in der Ostukraine bereitet die Europäische Union nach Angaben von Diplomaten neue Sanktionen gegen Moskau vor - allerdings keine tiefgreifenden Wirtschaftssanktionen. Solche möglicherweise folgenschweren Maßnahmen gegen den wichtigen Handelspartner Russland sollen vorerst noch nicht verhängt werden. Dies beschlossen die Botschafter der 28 EU-Staaten nach Angaben aus Diplomatenkreisen.

Die Vertreter der EU-Regierungen waren zu einer Sondersitzung zusammengerufen worden, um zu prüfen, ob Russland einem Ultimatum der Staats- und Regierungschefs Folge geleistet habe. Der EU-Gipfel hatte die Freilassung der OSZE-Beobachter, den Beginn substanzieller Friedensverhandlungen, die Rückgabe von drei Grenzkontrollstellen und eine Einigung über ständige OSZE-Beobachter verlangt. Im Kreis der EU-Botschafter sei man sich einig gewesen, dass die Lage "unübersichtlich" sei: So habe es durch die Freilassung der von prorussischen Separatisten entführten OSZE-Beobachter vom Wochenende eine positive Bewegung gegeben, in anderen Bereichen noch nicht. Experten sollen jetzt neue Einreiseverbote und Kontensperrungen ausarbeiten, hieß es. Diese sollten voraussichtlich am kommenden Montag beschlossen werden.

Hintergrund: Spannungen zwischen Kiew und Separatisten

Die Ostukraine wird von Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten erschüttert. Die von Kiew ausgerufene Feuerpause war am Wochenende mehrfach gebrochen worden - die Konfliktparteien machten sich dafür gegenseitig verantwortlich. Die Separatisten der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk verlangten als Vorbedingung für einen Friedensdialog mit Kiew den Abzug aller Regierungstruppen aus der Ostukraine.

In Kiew wuchs derweil in den vergangenen Tagen der Druck auf Präsident Poroschenko, wieder gegen die Aufständischen vorzugehen. In der ukrainischen Hauptstadt demonstrierten Tausende dafür, die Militäroffensive wiederaufzunehmen, um die prorussischen Separatisten mit Waffengewalt in die Knie zu zwingen. Unter ihnen waren auch Angehörige freiwilliger Kampfverbände. In der Ukraine herrscht die Sorge, dass die Separatisten mit jedem weiteren Tag ihre Strukturen im Osten des Landes festigen und die Abspaltung weiter vorantreiben.

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