Ende der Koalitionsverhandlungen:Entscheidung im Morgengrauen

Zähe Schlussrunde, fast zwölf Stunden Verhandlung: Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP steht - und Seehofer plaudert Details aus.

Thorsten Denkler, Berlin

Sie hatten sich eigentlich darauf geeinigt, dass keiner etwas sagt. Nur die drei Generalsekretäre sollten spät in der Nacht noch vor die Presse treten und ein paar Allgemeinsätze von sich geben, was sie dann auch eifrig taten.

Spät in der Nacht, so gegen zwei Uhr, gab es endlich die ersten Signale aus den Sitzungsräumen der Landesvertretung. Sie seien "gleich durch", die Chef-Unterhändler von CDU, CSU und FDP. Nach drei Wochen Verhandlungen in zehn Arbeitsgruppen sollte es also nun so weit sein: Das Ende der Koalitionsverhandlungen.

"Lust auf mehr"

Um kurz vor halb drei kamen die drei Generalsekretäre hinter den Sichtschutzwänden hervor, die das Innerste der Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen vor neugierigen Kameraaugen abschirmen sollten.

"Die neue Koalition der Mitte steht", näselte CDU-General Ronald Pofalla ins Mikrofon. Sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt erzählte etwas von einem "harten Stück Arbeit", das aber "Lust auf mehr" mache. Statt den etwa 190 Seiten des Koalitionsvertrages der Großen Koalition, stellt der Vertrag der schwarz-gelben Regierung ein Konvolut aus 300 Seiten dar.

Dirk Niebel von der FDP, der wohl künftig als Entwicklungshilfeminister der neuen Regierung zeichnet, spannte mit dem Satz, das sei der Grundstein für ein "neues Jahrzehnt im neuen Jahrtausend" gleich den ganz großen Bogen. Sein zweiter Satz klang durchaus anmaßend: "Wir geben den Bürgern die Chance, mit uns gemeinsam die Krise zu bewältigen." Aber das kann auch der nachtschlafenden Zeit geschuldet sein.

Stillschweigen vereinbart

Wie gesagt, der Plan ist eigentlich, dass sonst niemand etwas sagt. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer und Unions-Fraktionschef Volker Kauder verlassen ohne ein Wort zu Inhalten die Vertretung. Andere tun es ihnen nach. Manche, wie FDP-Chef Guido Westerwelle, lassen sich gar nicht mehr blicken. Er braust in dem Augenblick mit dem Auto vom Hof der Landesvertretung, in dem sich behäbig und ohne jede Eile ein hochgewachsener Mann den wartenden Journalisten nähert, der sich um Schweigeabsprachen noch nie wirklich geschert hat: Horst Seehofer.

Der CSU-Chef muss sich etwas bitten lassen, dann plaudert er los. Die Augen zwar glasig vor Müdigkeit. Das spitzbübische Lächeln um seine Lippen aber verrät, er ist hellwach. Das Betreuungsgeld (von Gegnern als Herdprämie gebrandmarkt)? "Kommt." Wann? "2013, wenn auch der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz in Kraft tritt." Kosten? "1,6 Milliarden".

So war nach und nach zu erfahren, dass es Steuerentlastungen in Höhe von 24 Milliarden Euro geben wird, dass ein Stufentarif im Steuerrecht eingeführt wird. Und dass er die Sache mit der Prämie im Gesundheitswesen doch etwas anders sieht.

Egal ob Manager oder Fensterputzer

Am Vormittag noch hatten die Gesundheitsunterhändler der kommenden Koalitionsparteien ihren Kompromiss so erklärt, dass ab 2011 das gegenwärtige einkommensabhängige Finanzierungssystem durch einkommensunabhängige Beträge zur Krankenkasse ersetzt werden soll. Demnach würde künftig jedes Mitglied einer Kasse den gleichen Beitrag zahlen - egal ob er Manager oder Fensterputzer ist: 150 Euro im Monat.

Die Opposition wittert den sozialen Kahlschlag. Seehofer sieht das anders. Nur die Mehrkosten die ab 2011 im Gesundheitswesen entstehen, sollen durch zusätzliche, vom Arbeitnehmer zu finanzierende Pauschalen abgedeckt werden. Ansonsten bleibe erst mal alles gleich. Im Übrigen werde es keinen sozialen Kahlschlag geben. Im Koalitionsvertrag stehe nichts, "wo ich rote Backen kriegen müsste", sagte der CSU-Chef.

Zu Personalfragen wollte sich nicht einmal Seehofer offiziell äußern. Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt manche Medien schon die Liste der Kabinettsmitglieder veröffentlicht hatten.

Schlag auf Schlag

Die hat einige Überraschungen parat. Für Diskussionsstoff dürfte vor allem die mögliche Berufung von Dirk Niebel in das Amt des Entwicklungshilfeministers und die von Noch-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung ins Amt des Arbeitsministers.

Jetzt geht es Schlag auf Schlag. An diesem Samstag werden die Fraktionen von Union und FDP und die Öffentlichkeit über den Koalitionsvertrag und das Personaltableau informiert. Am Sonntag kommt dann die FDP am ausgedienten Berliner Flughafen Tempelhof zum außerordentlichen Parteitag zusammen.

Montag folgen CDU und CSU jeweils mit kleinen Parteitagen. An dem Abend bereits soll der Koalitionsvertrag in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen unterzeichnet werden. Dienstag steht die konstituierende Sitzung des Bundestages an, Mittwoch könnten die Kanzlerin und ihr Kabinett vereidigt werden. Dann ist Schwarz-Gelb im Amt.

"Ich bin glücklich", sagt Horst Seehofer vergangene Nacht. Er grinst dabei über beide Backen. Mal sehen, wie lange das Glücksgefühl anhält.

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