Empfehlungen von US-Zeitungen:Kein Zeichen von Bescheidenheit

Die New York Times empfiehlt, Hillary Clinton zu wählen, viele regionale Blätter haben sich für John McCain ausgesprochen. Politische Empfehlungen haben in den USA Tradition, doch was sie wirklich bringen, weiß keiner.

Barbara Vorsamer

Es ist eine Tradition in amerikanischen Wahlkämpfen, dass Zeitungen die Wahl eines bestimmten Kandidaten empfehlen. Mit der New York Times hat sich nun die erste der meinungsführenden Zeitungen erklärt: Die Redaktion des liberalen Blattes rät enthusiastisch zur Wahl der Demokratin Hillary Clinton und spricht sich etwas zurückhaltender für den Republikaner John McCain aus.

Empfehlungen von US-Zeitungen: Grund zur Freude: Die renommierte "New York Times" empfiehlt, Hillary Clinton zu wählen

Grund zur Freude: Die renommierte "New York Times" empfiehlt, Hillary Clinton zu wählen

(Foto: Foto: AP)

"Wir sind zutiefst beeindruckt von der Tiefe ihres Wissens, der Kraft ihres Intellekts und der Breite ihrer Erfahrungen", heißt es in dem Editorial zu Clinton. Etwaige Einwände gegen ihre außen- und sicherheitspolitische Qualifikation schmettert das Blatt ab: "Sie wäre eine starke Oberbefehlshaberin der Armee."

McCain als kleineres Übel

Zwar können sich die New York Times-Redakteure auch für Clintons Konkurrent Obama erwärmen: "Wir bestreiten seine Anziehungskraft und seine Begabung nicht." Doch er habe im Gegensatz zu Clinton seine Fähigkeiten noch nicht bewiesen. Zum jetzigen Zeitpunkt, bilanziert die Zeitung, sei Clinton qualifizierter als Präsidentin.

Es ist nur eine Empfehlung für die demokratischen Vorwahlen, eine Entscheidung für die Präsidentschaftswahl gibt die New York Times damit nicht ab. Sie ist jedoch herauszulesen, vergleicht man das Clinton-Endorsement mit dem wesentlich zurückhaltenderen Stück über McCain: "Wir haben starke Meinungsunterschiede mit allen republikanischen Kandidaten", leiten die Redakteure ihre Erläuterungen ein und entscheiden sich dann für McCain als das kleinste Übel.

Engstirnig, unzuverlässig, unfähig

Dessen Konkurrenten bekommen von dem renommierten Blatt ordentlich Dresche: Der "wirkliche" Rudy Giuliani, so heißt es, sei ein "engstirniger, besessen geheimnistuerischer, rachsüchtiger Mann, der keine Notwendigkeit sah, die Macht der Polizei (in New York) zu begrenzen". Mitt Romney bekommt Unzuverlässigkeit vorgeworfen, Mike Huckabee wird als unqualifiziert für das Oval Office bezeichnet. So bliebe nur McCain.

Genauso entscheidet der Wähler oft an der Urne: Er stimmt wenig begeistert für den Kandidaten, den er für das kleinste Übel hält. Die Redaktionen, die oft begeistert von allen Seiten analysieren und bei jedem Politiker den Pferdefuß finden, müssen sich bei einer Empfehlung auch einfach der Frage stellen: dieser oder jener?

Das sei ein Zeichen von Bescheidenheit, meinen viele amerikanische Journalisten, zum Beispiel der Meinungseditor der Washington Post, Fred Hiatt. Er sagte der Fachzeitschrift American Journalism Review: "Ausnahmsweise können wir uns nicht das Blaue vom Himmel herunter wünschen. Wir müssen uns mit den Alternativen, die es gibt, zufriedengeben."

Beleidigung der Wähler

Doch es gibt auch viel Kritik an der Praxis der Kandidatenempfehlungen. Zum einen, weil inzwischen gesichert ist: Endorsements bewirken - gar nichts. Empirische Untersuchungen konnten keinen Einfluss von Empfehlungen der Zeitungen auf die Meinungsbildung der Wähler finden.

Zum anderen kritisieren Gegner die Endorsements als Machtinstrument. Sie stellen die Frage, was Redaktionen zu einer solchen Aussage berechtigt. Allen H. Neuharth, Gründer der USA Today, Amerikas größte Boulevardzeitung und bezeichnenderweise eine der wenigen Zeitungen, die keine Empfehlung aussprechen, bezeichnet sie als "Beleidigung" der Wähler. Sind Journalisten Experten, wissen sie mehr als die Öffentlichkeit? "Das glaube ich nicht", sagt Jay Rosen vom Institut für Journalismus an der New York University dem American Journalism Review.

Dies trifft vor allem für die Empfehlungen regionaler und lokaler Blätter bei Präsidentschaftswahlen zu: Die Redakteure haben nur selten einen wesentlich engeren Draht zu den Kandidaten als die Bevölkerung. Und anders als bei lokalen Wahlen wie der zum Distriktsrichter müssen die Kandidaten den Lesern auch nicht mehr vorgestellt werden.

Trotz allem Pro und Contra: Das Endorsement hat in den USA Tradition und so haben sich bereits zahlreiche Blätter für einen Kandidaten oder eine Kandidatin ausgesprochen. Die Blätter Boston Globe und Boston Herald sogar schon Anfang des Jahres, obwohl in Massachussets die Vorwahl erst am Super Tuesday, also am 5. Februar, ist. Die beiden Zeitungen wandten sich mit ihrer Empfehlungen für John McCain auch explizit an die Wähler von New Hampshire.

Favorit der Journalisten

John McCain ist eindeutiger Favorit von Amerikas publizistischer Klasse. Außer bei den Regionalmedien von Michigan und Nevada, die Mitt Romney unterstützten, bekam McCain die meisten Empfehlungen - auch in Iowa, wo er die Wahl an Mike Huckabee verloren geben musste. Ein Beweis dafür, dass die Meinungen der Redakteure wenig Einfluss auf die Wähler haben.

Gegen alle Traditionen verstießen zwei Zeitungen in New Hampshire. Der Concord Monitor und der Union Leader veröffentlichten jeweils ein böses "Anti-Endorsement" gegen Mitt Romney.

In South Carolina folgten die Wähler ihren Medien. Beide entschieden sich für John McCain. Barack Obama würde sich freuen, wenn es auf der demokratischen Seite genauso wäre, er genießt dort nämlich die Unterstützung der Zeitungen.

Insgesamt haben die US-Zeitungen noch keinen Favoriten bei den Demokraten. Ein paar mehr sprechen sich für Obama als für Clinton aus, doch mit dem Endorsement der New York Times hat Clinton nun ein publizistisches Schwergewicht auf ihrer Seite.

Und ob sie nun einen direkten Einfluss haben oder nicht: Die Endorsements sind noch aus einem anderen Grund wichtig für die Kandidaten. Sie verbreiten die Empfehlungen in Wahlkampfspots: Kleine 30-Sekünder, in denen ihnen die Verbindung mit einem renommierten Blatt Glaubwürdigkeit geben soll. Vielleicht entfalten die Endorsements auf diesem Wege doch noch eine Wirkung auf die Wähler.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: