Parlamentswahl in Frankreich:Neue Vagheit

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Die Franzosen haben zwar Emmanuel Macron als Präsidenten wiedergewählt, von seiner Politik aber haben sie genug. (Foto: Sameer Al-Doumy/AFP)

Frankreich befindet sich seit Sonntag in einer nie da gewesenen Situation. Die Partei des Präsidenten muss einen festen Koalitionspartner finden oder sich für ihre Gesetzesinitiativen jeweils Mehrheiten suchen. Noch eine dritte Möglichkeit gäbe es. Aber die wollen nur wenige.

Von Nadia Pantel, Paris

Zunächst zum geordneten Teil: Am Morgen nach der zweiten Runde der Parlamentswahl kamen Frankreichs frisch gewählte Abgeordnete ins Palais Bourbon an der Seine, zum Sitz der Nationalversammlung, und strahlten für die Kameras. Die Polster der Sitze im Plenarsaal waren gesäubert, neue große Bildschirme waren installiert, und jeder Gewählte bekam die Insignien seines Amtes in die Hand gedrückt: die blau-weiß-rote Schärpe, die zu offiziellen Anlässen stolz quer über die Brust getragen wird.

Nur wohin die 577 Schärpenträger in den kommenden Wochen steuern werden, ist völlig ungewiss. Frankreich befindet sich an diesem Montag in einer nie da gewesenen Situation. Die Fünfte Republik kannte bisher nach der Präsidentschaftswahl zwei Szenarien: Entweder der frisch wiedergewählte Präsident wird von den Bürgern bei der Parlamentswahl mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet und kann in der Folge komfortabel an der parlamentarischen Opposition vorbeiregieren lassen. Das war in den vergangenen fünf Jahren der Fall für Emmanuel Macron. Oder die Bürger geben bei der Parlamentswahl der Opposition die absolute Mehrheit. In diesem Fall stellt dann die Opposition die Regierung, der Präsident konzentriert sich auf außenpolitische Fragen, und das Land richtet sich mit der "Cohabitation" ein, dem "Zusammenleben" zweier gegnerischer Gruppen. So erlebte es zum Beispiel der konservative Präsident Jacques Chirac, der von 1997 bis 2002 die Cohabitation mit dem sozialistischen Premier Lionel Jospin aushielt.

Die Cohabitation setzt eine geeinte Opposition voraus. Die gibt es nicht

Das Prinzip der Cohabitation setzt aber eben voraus, dass es im Parlament eine geeinte Opposition gibt, die 289 Sitze auf sich vereinen kann. Das ist in der neu gewählten Nationalversammlung nicht der Fall. Anders als noch bis 2017 stehen sich in Frankreich eben nicht mehr die zwei großen Blöcke links gegen rechts gegenüber, repräsentiert durch die Sozialisten auf der einen und die Konservativen auf der anderen Seite. Das Land ist nun offiziell in drei politische Kräfte aufgeteilt. Und diese drei Kräfte haben die anderen zwei jeweils mit solcher Inbrunst zu Architekten des Untergangs erklärt, dass eine Zusammenarbeit unwahrscheinlich erscheint.

Sprich: Es gibt nicht mehr "die" Opposition, wie es noch der Fall war, wenn sich die Konservativen gegen den sozialistischen Präsidenten François Mitterrand in Stellung brachten oder eben die Sozialisten gegen den Konservativen Jacques Chirac. Viel eher gibt es eine Linke, die unter Führung von Jean-Luc Mélenchon und seiner France Insoumise sozialdemokratischem Kompromissdenken den Kampf angesagt hat. Und eine Rechte, in der Marine Le Pens Rassemblement National die größte Fraktion stellt. Eine Partei also, die noch vor fünf Jahren den Frexit und den Ausstieg aus dem Euro forderte.

Zwar stellt die Macron-Allianz "Ensemble" mit 246 Abgeordneten die größte Gruppe. Doch um ein Gesetz durchzubringen, reicht das eben nicht aus. Macrons Unterstützer haben nun drei Alternativen: Sie lernen einen völlig neuen Politikstil und schmieden Kompromisse. Und suchen sich für jedes neue Gesetz eine neue Mehrheit. In den vergangenen fünf Jahren fiel die Macron-Partei La République en Marche jedoch weniger durch politisches Geschick auf, sondern dadurch, dass sie die Beschlüsse des Präsidenten, also ihres Parteigründers, möglichst geräuschlos durchs Parlament winkte. Sollten Kompromisse scheitern, hat die Regierung auch noch das Mittel, auf den Paragrafen 49.3 zurückzugreifen. Dieser Verfassungsartikel ermöglicht es, Gesetze durchzubringen, ohne eine Abstimmung im Parlament abzuwarten. Allerdings kann der Paragraf 49.3 nicht mehr wie früher unbegrenzt eingesetzt werden, sondern nur noch einmal pro Sitzungsjahr.

Eine andere Lösung könnte es sein, sich mit den Abgeordneten der Républicains und der anderen Konservativen zu verbünden, die gemeinsam auf 64 Sitze kommen. Die Républicains könnten dann als Königsmacher deutlich größeren Einfluss auf die Regierungszusammensetzung nehmen, als es ihr bescheidener Abstimmungserfolg vermuten ließe. Nur finden sich bei den Républicains bisher kaum prominente Anhänger dieser Idee eines "Regierungspaktes".

Schon werden Regierungskreise zitiert, die Neuwahlen vorschlagen

Die dritte Idee schließlich wirkt eher aus der Panik geboren, wurde jedoch lebhaft diskutiert: Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen. Lokale Medien zitierten ausführlich "Regierungskreise", die laut darüber nachdachten, dass das neue Parlament das Land unregierbar mache und daher nicht bestehen könne. Innerhalb der Regierung gab es an dieser Strategie jedoch klare Kritik. Landwirtschaftsminister Marc Fesneau sagte: "Die Wähler haben entschieden", man könne nun "nicht mit der Verfassung spielen".

Entscheidend wird in den kommenden Tagen auch sein, wie sich die Opposition sortiert. Der nicht gewählte, aber De-facto-Anführer der linken Nupes-Allianz, Mélenchon, forderte am Montagmittag die übrigen Nupes-Mitglieder dazu auf, sich innerhalb der Nationalversammlung zu einer gemeinsamen Fraktion zusammenzuschließen. Ein Vorschlag, der von den Sozialisten, Frankreichs Grünen Europe Écologie les Verts und der Kommunistischen Partei zunächst zurückgewiesen wurde. Sollten die linken Parteien, die als Nupes-Allianz die Wahlkreise unter einander aufgeteilt hatten, nicht eine gemeinsame Fraktion bilden, wird Marine Le Pens Rassemblement National die größte Oppositionsgruppe im Parlament stellen. Das hätte erhebliche politische Folgen: Die Rechtsextremen könnten dann die Führung des Finanzausschusses übernehmen.

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