Süddeutsche Zeitung

Élysée-Vertrag:Kopie statt Kunst

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Wer den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag erneuern will, geht ein Risiko ein. Denn die Rollen Deutschlands und Frankreichs haben sich deutlich gewandelt. Und Mitteleuropa blickt mit Argwohn auf das Projekt.

Kommentar von Stefan Kornelius

Etwa 1400 Wörter umfasst der Élysée-Vertrag, er passt auf vier Seiten, er wurde im Jahr 1963 geschlossen, also keine 18 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Damals waren sechs Staaten Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die Gründernationen also. Der Vertrag war revolutionär modern. Er verpflichtete Deutschland und Frankreich zur Konsultation in außenpolitischen Fragen, er vernetzte Politik und Gesellschaft der beiden Nationen aufs Engste, und vor allem erkannte er, dass Versöhnung und Frieden vor allem über das Vehikel Bildung und Erziehung zu bekommen sind.

Wer heute einen neuen Élysée-Vertrag abschließen möchte, wird das Gewicht des Originals nicht replizieren können. Mehr noch: Ein neuer Vertrag birgt die Gefahr, dass er sich in der Symbolik erschöpft und aus Mangel an Substanz lediglich als politische Folklore wahrgenommen wird. Ein solcher Abschluss wäre eine Ersatzhandlung, die ein Ding beschwört, das längst nicht mehr gespürt wird. Das wäre eine Tragödie.

Der Appell der deutschen und französischen Parlamente zur Neuauflage eines Élysée-Vertrags umfasst doppelt so viele Wörter wie das Original und zeugt davon, dass die deutsch-französische Freundschaft längst aus der Haut von 1963 hinausgewachsen ist. Die Probleme Frankreichs und Deutschlands sind heute einerseits verschwunden - Krieg zwischen den beiden Staaten als Urübel der europäischen Geschichte ist undenkbar geworden. Andererseits branden neue, furchteinflößende Probleme an die Stabilitätsinsel Europa an. Wer heute also einen Élysée-Vertrag will, sucht in Wahrheit eine Formel zur politischen Dynamisierung der Europäischen Union mit Deutschland und Frankreich im Kern.

Nun aber wird es heikel, denn die Rollen Deutschlands und Frankreichs haben sich seit 1963 deutlich gewandelt. Der Motor treibt nicht die viel beschworene Achse an, sondern ein kompliziertes Werk aus Pleuel, Kurbeln, Rädern. Zweitens sind sich die Maschinisten in Berlin und Paris nicht unbedingt einig darin, mit welcher Kraft und in welche Richtung ihr Motor wirken soll. Und drittens gibt es eine große Zahl anderer Getriebetechniker im Raum, die den Bauplan der Maschine mit eigenen Augen lesen.

Wer den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag imitiert, geht auch ein Risiko ein

Kurzum: Wer heute Élysée auf einen Vertrag schreibt, schafft nicht automatisch eine Erfolgsgeschichte für Europa. Im Gegenteil. Mit großem Argwohn wird in Mitteleuropa und überhaupt bei den meisten kleinen EU-Ländern vor dieser deutsch-französischen Kraftmaschine gewarnt. Das böse Wort vom Diktat fällt, vom Geschäft zu Lasten Dritter, von der Ausgrenzung.

Selbst wenn man der Ansicht ist, dass dieser trägen EU ein bisschen Mut und Druck ihrer größten Mitglieder und Nettozahler guttäte - es bleibt die nicht unberechtigte Sorge um das wahre Motiv hinter all dem Neugründungs-Elan. Oder, um es an einem praktischen Beispiel zu erklären: Deutschland wird im Licht aller historischen Schmerzen stets mehr Verständnis für seinen unmittelbaren Nachbarn Polen aufbringen, als Frankreich das je muss. Ganz gleich, ob nun die Pis in Warschau regiert oder nicht.

Ein neuer Élysée-Vertrag ist also per se kein Segensbringer für Europa. Und die Logik lehrt, dass die Kopie eines historischen Meisters kein neues Kunstwerk zustande bringen kann.

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SZ vom 23.01.2018
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