Ellwangen:Stärke und Sturmhaube

Massive Rechtsdurchsetzung ist richtig. Kirchenasyl auch. Der Rechtsstaat darf, soll und muss demonstrieren, dass er das Heft in der Hand behält. Er muss aber auch Fehler korrigieren, wie es das Kirchenasyl erbittet.

Von Heribert Prantl

Der Rechtsstaat hat verschiedene Gesichter. Einmal hat er eine Sturmhaube auf wie in Ellwangen; dann springt er mit Hunderten Polizisten aus den Transportern und durchsucht eine Flüchtlingsunterkunft. So war das am Donnerstag in Ellwangen. Ein andermal hat der Rechtsstaat die Richterrobe an; er wägt hin und her und sagt dann, dass ein Flüchtling, der sich ins Kirchenasyl begeben hatte, nicht strafbar ist. So geschehen am Oberlandesgericht München, gleichfalls am Donnerstag.

Das ist ein gutes Urteil. Ob die spektakuläre Aktion in Ellwangen auch eine gute Aktion war, ist auf der Basis vorliegender Erkenntnisse schwer zu beurteilen. War das eine Aktion, die das Recht durchsetzen sollte, war sie als Rechtsdurchsetzungsaktion verhältnismäßig? Ein Einsatz, der auch staatliche Machtdemonstration ist, ist nicht per se unverhältnismäßig. Der Rechtsstaat darf mit Nachdruck und Sturmhaube zeigen, dass er das Heft in der Hand hat und in der Hand behalten will. Eine solche Aktion kann richtig, wichtig und dringlich geboten sein. Ein Einsatz für das Recht muss freilich das Recht wahren; man darf es nicht verteidigen, indem man es bricht.

Rechtsdurchsetzung ist richtig und wichtig. Kirchenasyl auch. Es korrigiert Rechtsfehler

Dem Großeinsatz in Ellwangen war ein gescheiterter Versuch der Abschiebung eines Flüchtlings aus Togo am Montag vorausgegangen. 150 Flüchtlinge, so schildert es die Polizei, hatten Streifenwagen attackiert und Polizisten bedrängt. Eine solche Randale liegt nahe am Landfriedensbruch. Auch Fehler im Umgang mit den Flüchtlingen, die es gewiss gibt, können das nicht rechtfertigen. Selbst scharfe Kritiker der derzeitigen Asylpolitik, selbst diejenigen, die das gegenwärtig praktizierte Abschiebesystem mit all seinen Inhumanitäten als strukturelle staatliche Gewalt betrachten, müssen jedem gewalttätigen Versuch entgegentreten, staatliche Maßnahmen zu verhindern.

Das Kirchenasyl ist, anders als die Randale in Ellwangen, kein gewalttätiger Rechtsbruch. Das Kirchenasyl ist, wenn man das Wort Rechtsbruch überhaupt gebrauchen will, allenfalls ein sanfter, ein geregelter Rechtsbruch; denn das Kirchenasyl hat, nach langen Gesprächen zwischen Kirche und Staat , feste Regeln. Kirchengemeinden wagen diesen sanften Rechtsbruch nicht, um das Recht zu missachten, sondern um ihm auf die Sprünge zu helfen. Es geht darum, in Härtefällen in Zusammenarbeit mit dem Staat eine Überprüfung der Abschiebungsentscheidung zu erreichen. Kirchenasyl ist also kein rechtsfreier Raum, es ist ein Freiraum des Rechts - durch Zeitaufschub bei der Abschiebung; es ist ein Zeitaufschub, in dem rechtliche Fehler geheilt werden können. Kirchenasyl ist also so etwas wie ein Asyl für die Gerechtigkeit des Rechts. Die Kirchengemeinden agieren absolut gewaltlos, sie melden den Flüchtling sofort den Behörden - mit Adressenangabe und der Bitte, seinen Fall noch einmal rechtlich zu prüfen. In der großen Mehrzahl sind diese Bitten erfolgreich. Das und nicht mehr ist das Kirchenasyl. Auch der Bundesinnenminister könnte hier seinen Hut ziehen - und dankbar sein dafür, dass so Fehler des Rechtsstaats korrigiert werden können. Das Wissen um seine Fehlbarkeit macht ihn ja zum Rechtsstaat.

Ein Rechtsstaat braucht beides: Er braucht Härte und Sensibilität. Ellwangen und München stehen also nicht gegeneinander. Sie stehen nebeneinander - als die Facetten des Rechtsstaats.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: