Schweiz:Die Neue aus dem Jura

Schweiz: Elisabeth Baume-Schneider kam wohl vor allem in der bäuerlichen Parlamentsecke gut an.

Elisabeth Baume-Schneider kam wohl vor allem in der bäuerlichen Parlamentsecke gut an.

(Foto: Stefan Wermuth/AFP)

Überraschend zieht die linke Elisabeth Baume-Schneider in die Schweizer Regierung ein. Wer ist die Frau, die fast alle unterschätzt haben?

Von Isabel Pfaff, Bern

Vielleicht verstehen sich Deutsche und Schweizer bald schlechter als ohnehin schon. Das kleine Nachbarland gilt unter Deutschen als eigenbrötlerisch und hat sich zuletzt mit seiner neutralen Haltung im Ukraine-Krieg in Berlin keine Freunde gemacht. Am Mittwoch nun wählte das Schweizer Parlament zwei neue Regierungsmitglieder, den SVP-Politiker Albert Rösti und die Sozialdemokratin Elisabeth Baume-Schneider - und nun sitzen in der eidgenössischen Exekutive, dem siebenköpfigen Bundesrat, mehr Französisch- und Italienischsprachige als Deutschschweizer. Ob das zu weiteren Verständigungsproblemen zwischen Bern und Berlin führen wird, muss die Zukunft zeigen. Fest steht aber: Mit der frankophonen Baume-Schneider ist dem Parlament auf vielen Ebenen ein Coup gelungen.

Die 58-jährige Politikerin mit dem grauen Bob und dem breiten Lächeln kommt aus dem Kanton Jura. Allein das ist eine kleine Sensation, denn der Jura ist im Gegensatz zu den anderen Kantonen erst 40 Jahre alt und war noch nie im Bundesrat vertreten. Bis 1979 gehörte er zum mehrheitlich deutschsprachigen Kanton Bern. Doch das frankophone Gebiet mit der anarchistischen Tradition wollte eigenständig sein und erkämpfte sich - teils auch gewaltsam - seine Unabhängigkeit. Bis heute gelten die Jurassier als speziell; ein bisschen aufmüpfiger als die übrigen Schweizer. Bei Abstimmungen äußert sich der Jura oft besonders links. Und obwohl in dem Grenzkanton eine starke Uhren- und Maschinenbau-Industrie zu Hause ist, zählt der Jura zu den ärmsten Regionen des Landes.

Sie will sich als "Vertreterin der Peripherie" verstanden wissen

Elisabeth Baume-Schneider, die ihre politische Karriere als Marxistin begann, wollte sich bei dieser Wahl denn auch als "Vertreterin der Peripherie" verstanden wissen, als eine, die die Schwächsten im Blick hat. Nach ihrem Sieg betonte sie dieses Profil noch einmal: "Die Stärke eines Volkes bemisst sich am Wohl der Schwachen", sagte sie in ihrer Antrittsrede und machte damit klar, dass sie sich zum linken Flügel ihrer Partei zählt.

Auch deshalb ist ihre Wahl eine Überraschung. Wer in der Schweiz in die Regierung will, tut gut daran, sich eher in der Mitte zu positionieren, denn der Bundesrat ist ein Kollegialgremium: Entscheidungen werden gemeinsam gefällt und geschlossen nach außen vertreten. Extrempositionen strapazieren dieses auf Ausgleich und Kompromiss bedachte System eher. Es kann gut sein, dass Baume-Schneider sich problemlos in diese Mechanik einfügt, immerhin saß sie bereits in der jurassischen Kantonsregierung und kennt die Prinzipien einer Kollegialbehörde. Und doch ist es erstaunlich, dass das Parlament ihr, einer dezidiert linken Politikerin, das Regierungsamt eher zutraute als ihrer parteiinternen Konkurrentin Eva Herzog.

Herzog war als Favoritin in das Rennen um den SP-Regierungssitz gestartet. Die 60-Jährige kommt aus Basel und saß dort ebenfalls in der Kantonsregierung, als Finanzministerin. Basel ist Standort wichtiger Großunternehmen, vor allem aus der Pharmabranche, und so verfolgte Herzog dort zuweilen einen ausgesprochen unternehmensfreundlichen Kurs - in Opposition zu ihrer eigenen Partei. Das wiederum macht sie eigentlich sehr wählbar im rechtsbürgerlichen Lager des Parlaments. Doch offenkundig kam dieser Trumpf am Mittwoch nicht zum Tragen.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste heißt Daniel Jositsch: Der Zürcher SP-Politiker mit offenen Bundesratsambitionen war nicht einverstanden mit der Entscheidung seiner Partei, ausschließlich Frauen für die Wahl zu nominieren. Und er war offenkundig nicht der einzige, wie der Wahltag zeigte. Fast 60 Abgeordnete schrieben im ersten Wahlgang Jositschs Namen auf ihre Zettel - aus Protest gegen den Männer-Ausschluss der SP. Diese Stimmen hätten unter normalen Umständen wohl Eva Herzog gehört.

Baume-Schneider lebt mit ein paar Schwarznasenschafen auf dem Land

Andere Beobachter sehen die größte Schwäche von Eva Herzog ausgerechnet in ihrer Kompetenz: Die politischen Gegner der SP, so geht diese Lesart, hätten eine starke und bekannte Sozialdemokratin wie Herzog in der Regierung verhindern wollen und der eher unbekannten, harmlos wirkenden Baume-Schneider den Vorzug gegeben.

Ob Baume-Schneider diese Hoffnung erfüllt, lässt sich noch nicht sagen. Sicher ist dagegen, dass es ihr unabhängig von ihrer Gegnerin in der kurzen Zeit ihrer Kandidatur gelungen ist, viele Sympathiepunkte zu sammeln. In mehreren Anhörungen soll sie die Abgeordneten mit ihrer frischen, offenen Art für sich eingenommen haben, allen voran die bäuerlichen Vertreter in der Politik. Baume-Schneider ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen und lebt auch heute noch auf dem Land - mit ein paar Schwarznasenschafen. Davon erfuhr in diesem Wahlkampf praktisch die gesamte politische Schweiz, und so dürften viele ihrer Stimmen aus der bäuerlichen Parlamentsecke gekommen sein.

Egal, was nun wirklich den Ausschlag für ihre Wahl gegeben hat: Statt einer ernsten Finanzpolitikerin aus Basel regiert nun eine gut gelaunte Sozialarbeiterin aus dem Jura die Schweiz mit. Und die will den Eidgenossen zeigen, was sie kann. "Sie haben immer gedacht, ich bin nur charmant", sagte Baume-Schneider ihren Kollegen im Parlament nach ihrem Sieg, "aber ich kann wirklich sehr ernst arbeiten!"

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