Eli Wiesel über Antisemitismus:"Prinz Harry - was für ein Idiot!"

Er habe weniger Angst davor, dass der Holocaust vergessen wird, als vor einer Banalisierung der Erinnerung, erklärt Friedensnobelpreisträger Eli Wiesel. "Wenn man mir 1945 gesagt hätte, dass ich 2005 gegen den Antisemitismus kämpfen würde, hätte ich das nie geglaubt. Jetzt ist die Gefahr wieder da."

60 Jahre nach der Befreiung der NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau hat der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel vor einer Banalisierung der Erinnerung gewarnt.

Besonders in Filmen bestehe diese Gefahr, sagte Wiesel in New York. "Ich mag das Wort 'Dokudrama' nicht, wir haben nicht das Recht, Fiktion und Wahrheit zu vermischen, nicht auf diesem Niveau."

Er habe weniger Angst vor dem Vergessen, weil die Tragödie des Holocaust die am besten dokumentierte der Geschichte sei. Zudem habe er immer geglaubt, dass derjenige, der einem Zeugen zuhöre, selber Zeuge werde, sagte Wiesel. "Wir sind dabei, eine Generation von Zeugen von Zeugen von Zeugen zu bilden."

"Das Gegenteil von Leben ist Gleichgültigkeit"

Gefragt nach den Lehren, die aus dem Holocaust gezogen worden seien, gab Wiesel zu, dass er zwischen Optimismus und Pessimismus schwanke.

"Die Lehre ist, dass wir nach Lehren suchen. Wenn man mir allerdings 1945 gesagt hätte, dass ich 2005 gegen den Antisemitismus kämpfen würde, hätte ich das nie geglaubt. Jetzt ist die Gefahr wieder da." Die Schoah werde stets ein "beispielloses Ereignis" sein, das bis heute unverständlich sei.

Er kenne fünf US-Präsidenten, berichtete Wiesel, der als Jugendlicher 1945 aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde. Alle fünf habe er gefragt, warum die Allierten nicht die Bahngleise nach Birkenau bombardiert hätten. "Keine Antwort, es gibt keine Antwort." Für ihn sei die Gleichgültigkeit das Böse, sagte der Schrifsteller. "Das Gegenteil von Liebe ist für mich nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit."

"Wenn er schockieren will, soll er sich was anderes suchen"

Und das Gegenteil von Leben ist nicht Tod, sondern die Gleichgültigkeit gegenüber Leben und Tod.

Als Beispiel für Gleichgültigkeit nannte Wiesel Prinz Harry, der kürzlich mit einer Nazi-Verkleidung bei einem Kostümfest für Empörung sorgte.

"Vielleicht haben wir nicht genügend gearbeitet", sagte er. "Aber zugleich sage ich mir, dieser Prinz Harry, was für ein Idiot! Wenn er schockieren will, soll er sich etwas anderes suchen."

Dem jüngeren Sohn von Prinz Charles riet der Friedensnobelpreisträger, zunächst einmal Filmdokumentationen über den Holocaust anzuschauen und Zeugenberichte zu lesen. Danach könne Harry vielleicht die Gedenkstätte Auschwitz besuchen.

Wiesel spricht heute auf der Sondersitzung der UN-Vollversammlung zum Gedenken an die Befreiung der NS-Konzentrations- und Vernichtungslager vor 60 Jahren. Auch bei den Gedenkfeiern in Auschwitz wird er anwesend sein.

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