Allenthalben heißt es, die Welt würde immer unübersichtlicher. Für die Welt des Strafens gilt das nicht; die ist übersichtlich geblieben. Wenn ein Straftäter verurteilt wird, ist die Auswahl der Sanktionen klein: Es gibt die Geld- und die Freiheitsstrafe. Der Strafrichter hat es also viel leichter als der Allgemeinarzt; der muss die richtige Arznei aus einem dicken Verzeichnis heraussuchen, auf dem "Rote Liste" steht. Die sehr kurze rote Liste des Strafrichters wird jetzt um einen Punkt erweitert: Es gibt künftig neben den klassischen Sanktionen die elektronische Überwachung. Ein Beschuldigter oder Straftäter kann, wenn der Richter das anordnet, sein Gefängnis in Form einer elektronischen Fußfessel mit sich herumtragen.
Im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist diese Möglichkeit seit dem 1. Januar 2011 - seit dem "Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung". Seitdem kann im Rahmen der "Führungsaufsicht" die elektronische Überwachung entlassener Straftäter angeordnet werden.
Es gibt freilich noch weitere Einsatzbereiche für die Fußfessel. Erstens: Es kann ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt werden, wenn sich der Beschuldigte die Fessel anlegen lässt; dann ersetzt die Fessel die Untersuchungshaft. Zweitens: Es kann die elektronische Überwachung an die Stelle von kurzen Freiheitsstrafen treten; dann wird der Täter nicht herausgerissen aus seinem privaten und beruflichen Umfeld, mit all den schädlichen Folgen, die das haben kann. Drittens kann die elektronische Fesselung eine Bewährungsauflage sein.
Mit der Fußfessel wird in einigen Bundesländern - Hessen war vor zehn Jahren das erste Land - schon seit längerem experimentiert. Baden-Württemberg hat das nachgemacht, um die Kosten des Strafvollzugs zu senken. Ein Haftplatz kostet an die 300.000 Euro im Jahr, die elektronische Überwachung 7500 Euro (nach Angabe der bayerischen Justiz; wenn viele Leute überwacht werden, wird es noch viel billiger).
Das ist billig, das lockt
Die Firma, die die Geräte liefert, berechnet derzeit für das Paket 2500 Euro pro Person und Jahr. Das ist billig, das lockt natürlich. Und so tritt nun, nachdem sich Justizministerkonferenzen seit 1999 mit der elektronischen Überwachung beschäftigen, ein Bundesland nach dem anderen dem Staatsvertrag bei, mit dem die "Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Justiz" gegründet wird, "GÜL" genannt.
Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern sind jetzt dabei, die anderen werden folgen. Die Überwachungszentrale mit Sitz im hessischen Bad Vilbel soll Anfang 2012 zu arbeiten beginnen - sozusagen als Spinne im Netz der bundesweiten elektronischen Überwachung. Dieser 1. Januar 2012 ist also ein historisches Datum im deutschen Strafvollzug.
Die einen Bundesländer wollen die Fußfessel umfassend für alle möglichen Einsatzbereiche nutzen, also auch als U-Haftersatz oder als Bewährungsauflage; die anderen eher speziell für die Überwachung von Straftätern nach der Entlassung, wenn man sie nach wie vor für gefährlich hält. Es handelt sich immer um eine Form des alternativen Haftvollzugs - und deshalb irritieren die bisherigen Auskünfte darüber, wie die zentrale Überwachungszentrale in Bad Vilbel organisiert sein soll: Dort sitzen nicht etwa Vollzugsbeamte, auch nicht Kriminalisten oder Kriminologen, auch nicht Polizisten - sondern hessische Angestellte für Datenverarbeitung.
Es handelt sich also bei der Überwachungstruppe zwar nicht (wie auch schon befürchtet und in einigen Bundesländern im Rahmen von Modellversuchen bereits praktiziert) um eine private Firma, aber um fachfremde Leute. Vertrauenserweckend ist das nicht. Bei der Fußfessel ist offensichtlich der Sparfuchs Überwachungsmeister. Die Kapazität der Überwachung ist laut der Verwaltungsvereinbarung zwischen den Ländern "in der Grundausstattung" fürs Erste auf 500 Probanden angelegt.
Die Sicherheitsfirmen, die die Geräte liefern, trachten natürlich nach ganz anderen Zahlen: Großbritannien, Schweden und Spanien sind da die Vorbilder. In Großbritannien werden 60.000 Personen überwacht, in den USA sollen es hunderttausend sein. Die Hersteller der Überwachungselektronik haben großes Interesse, sich den europäischen Markt zu erschließen. Jüngst waren der Filmregisseur Roman Polanski und der frühere IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn unfreiwillig Werbeträger für die Fußfesseln: Bei beiden ersetzte die Fußfessel wochenlang die Haftzelle.
Auf solche Fälle bezieht sich ein Teil der Kritik: Wenn elektronische Überwachung als Ersatz für Untersuchungshaft eingesetzt wird, privilegiert sie die ohnehin bessergestellten Straftäter. Warum? Wenn einer kein oder ein prekäres Zuhause hat, kann man ihn nicht zu Hause lassen. Ein elektronisch überwachter Hausarrest führt hier schnell zur Zwei-Klassen-Justiz.
Und wenn die Fußfessel in geeigneten Fällen als Ersatz für die kurze Freiheitsstrafe eingesetzt wird? Wenn einer für ein paar wenige Monate in den Knast muss, ist das Risiko gewaltig, dass der Schaden weit größer ist als der angepeilte Nutzen (soweit ein Gefängnis überhaupt Nutzen hat): Die Zeit wird dann dumpf abgesessen, derweil verliert der Verurteilte seine Arbeitsstelle. Hier kann die Fußfessel womöglich ein Segen sein.
Die Erfahrung in anderen Ländern lehrt freilich, dass die Fessel nicht (nur) als Ersatz für kurze Freiheitsstrafen, sondern als Ersatz für Geldstrafen eingesetzt wird: Wo früher nur Geldstrafen verhängt wurden, werden jetzt Fußfesseln montiert! Das heißt: Ihre Einführung wirkt punitiv, sie verschärft tendenziell die Bestrafung.
Bleibt der Einsatz bei solchen entlassenen Straftätern, die nach wie vor als gefährlich gelten: Hier beseitigt die Fessel die Gefahr nicht unbedingt, vermag sie aber zu senken; und: Der Einsatz ist hier rechtsstaatlich sauber.
Es hat Politiker gegeben, die zu Zwecken der Vorbeugung die Überwachung von islamistischen "Hasspredigern" per Fußfessel gefordert haben. Bei diesen sind aber eigentlich nicht die Füße das Problem. Gelegentlich wünscht man sich daher, es gäbe elektronische Mundfesseln - auch für Politiker.