Eklat um Holocaust-Gedenken:"Überlebende wie Zaungäste"

Im Bundestag wird heute der Opfer des Holocaust gedacht. Doch aus Protest gegen Missachtung und wachsende "Feindschaft" gegen Juden bleibt die Spitze des Zentralrats der Gedenkfeier erstmals fern.

Der Gedenkfeier des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus droht ein Eklat. Die Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland bleibt aus Protest gegen Missachtung und steigenden Judenhass erstmals der Veranstaltung fern, wie Generalsekretär Stephan J. Kramer sagte.

Eklat um Holocaust-Gedenken: Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit.

Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit.

(Foto: Foto: AFP)

Die Gedenkfeier ist im Bundestag für 11:00 Uhr angesetzt. Führende Vertreter wie die amtierende Präsidentin Charlotte Knobloch und deren Vorgänger Ignatz Bubis und Paul Spiegel seien noch nie als Überlebende des Holocaust auf der Tribüne des Bundestags begrüßt worden, sagte Kramer.

"Ich hätte Verständnis, wenn wir über Vertreter der zweiten oder dritten Generation reden würden. Es ist aber ein Unding, dass Überlebende wie Zaungäste behandelt werden." Dieser Behandlung wolle man sich nicht mehr aussetzen.

Kramer sagte, nach dem bisherigen Bundestags-Protokoll sei es nicht vorgesehen, andere Personen als die Vertreter der obersten Bundesbehörden zu begrüßen. Da aber bei der Begrüßung auch andere Teilnehmer wie etwa die Musiker genannt würden, könnten auch die Vertreter des Zentralrats eingeschlossen werden.

"Um sich greifende Feindschaft"

Der Zentralrat beklagt auch einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland, wie Kramer dem Tagesspiegel sagte. Es gebe eine "fortschreitend um sich greifende Feindschaft gegen Juden, mehr und mehr auch in der Mitte der Gesellschaft".

Es sei zwar zu loben, dass in ganz Deutschland in vielen Veranstaltungen an den 64. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz erinnert werde, sagte der Generalsekretär. "Doch wir mussten auch feststellen, dass während des Gaza-Krieges die Zahl der Hass-Mails an den Zentralrat um 40 Prozent auf 200 bis 300 pro Woche zugenommen hat." In einem Zehntel dieser Mails seien explizite Morddrohungen gegen persönlich benannte Mitglieder des Zentralrats enthalten gewesen.

Bundespräsident Horst Köhler hat dazu aufgerufen, die Erinnerung an das Verbrechen des Holocaust zu bewahren. "Wer sich der eigenen Vergangenheit nicht stellt, dem fehlt das Fundament für die Zukunft. Wer die eigene Geschichte nicht wahrhaben will, nimmt Schaden an seiner Seele", sagte Köhler zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.

Die Verantwortung aus dem Völkermord an den Juden sei Teil der deutschen Identität. "Die Trauer über die Opfer, die Scham über die furchtbaren Taten und der Wille zur Aussöhnung mit dem jüdischen Volk und den Kriegsgegnern von einst sie führen uns zu den Wurzeln unserer Republik", sagte Köhler in der Gedenkstunde des Bundestages.

"Heute, am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, gedenken wir ihrer: der Juden, der Sinti und Roma, der Kranken und Menschen mit Behinderung, der politisch Andersdenkenden und der Homosexuellen und aller, die der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und den deutschen Raub- und Vernichtungskriegen zum Opfer fielen", sagte Köhler.

Der Name Auschwitz sei Inbegriff für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Er stehe für den Versuch, ein ganzes Volk auszulöschen. Es sei eine Schande, dass die Orte jüdischen Lebens von der Polizei "vor alten und neuen Extremisten geschützt werden müssen", so Köhler. "Stellen wir uns an die Seite unserer jüdischen Landsleute. Wer sie angreift, greift uns alle an", appellierte das Staatsoberhaupt.

"Holocaust bleibt immerwährende Warnung"

Bundestagspräsident Norbert Lammert erklärte mit Blick auf Termine wie den bevorstehenden 20. Jahrestag des Mauerfalls, der 27. Januar sei mehr als der Auftakt zu einer Reihe großer Gedenkveranstaltungen. "Er verbindet die kommenden Gedenktage wie ein roter Faden, weil das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus jeden der kommenden Gedenktage begleiten wird - insbesondere den 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland."

Der Holocaust bleibe "eine immerwährende Warnung, wachsam zu sein und nicht zu schweigen, wenn wir unsere demokratischen Grundüberzeugungen und Regeln gefährdet sehen oder wenn Menschen Opfer insbesondere von ideologisch motivierter Gewalt werden", sagte Lammert.

Auf das Fernbleiben des Zentralrats der Juden gingen weder Lammert noch Köhler ein.

Zu der Gedenkstunde kamen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesratspräsident Peter Müller und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Zu Gast sind zudem junge Menschen aus Deutschland, Frankreich und Polen, die seit dem 21. Januar an der Jugendbegegnung des Bundestages zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus teilnehmen.

Der 27. Januar war 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Tag des Gedenkens an die Holocaust-Opfer erklärt worden. Am 27. Januar 1945 war das Vernichtungslager Auschwitz durch alliierte Truppen befreit worden.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn äußerte sich verwundert über die Absage des Zentralrats. Griefahn, die auch Vorstandsmitglied der Stiftung für das Holocaustmahnmal ist, verwies im RBB-Inforadio auf die Beteiligung jüdischer Persönlichkeiten und Organisationen an den Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenktag in den vergangenen Jahren.

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