Eklat in Genf:Chinesischer Spaltpilz

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Peking kauft sich massiv im krisengeschüttelten Südeuropa ein, dadurch wächst auch der politische Einfluss des Regimes. Hat deshalb Griechenland eine EU-Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in China platzen lassen?

Von T. Kirchner, S. Schoepp, Brüssel

Bei der Verteidigung der Menschenrechte, einem europäischen Kernanliegen, tritt die EU gern geschlossen auf. Zumindest wenn es um China ging hat das bisher auch funktioniert. Jahr für Jahr haben die Europäer beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf Klage über die Lage in China erhoben. Am vergangenen Donnerstag zeigte sich, dass diese Einheit zerbricht - und dass es Peking offenbar gelingt, die Europäer auseinanderzudividieren. An diesem Tag wollte die EU-Gruppe wieder eine China-kritische Stellungnahme einbringen, nicht zuletzt mit Blick auf den "Menschenrechtsdialog", den Europäer und Chinesen diese Woche in Brüssel abhalten möchten. Doch Griechenland blockierte die Entschließung.

Wie EU-Diplomaten bestätigten, konnten sich die 28 EU-Staaten nicht auf einen gemeinsamen Text verständigen. "Unproduktive und oftmals selektive Kritik gegenüber bestimmten Ländern erleichtert die Förderung der Menschenrechtslage in diesen Staaten nicht", sagte ein griechischer Diplomat der Süddeutschen Zeitung. Außerdem hätte der Wortlaut des Textes die Organisation des Menschenrechtsdialogs nach Ansicht Athens unterminiert. Allerdings hätten sich auch andere EU-Staaten gegen den Text verwahrt, sagte der Diplomat. Dem Vernehmen nach handelt es sich um osteuropäische Staaten.

Der Eklat ist eine indirekte Folge der Dauerkrise Südeuropas und der EU-Sparpolitik. China investiert seit Jahren viel Geld im hoch verschuldeten Griechenland und lindert dessen Finanznot dadurch erheblich. 2016 erwarb ein chinesischer Logistik-Riese die Mehrheitsanteile am Hafen von Piräus, ein Schritt, der von mehreren Regierungen in Athen vorbereitet worden war. Auch die Investitionen in Spanien, Portugal und Italien wachsen seit Jahren exponentiell. Das Interesse Pekings an südeuropäischen Krisenstaaten ist in einem größeren Kontext zu sehen: Es geht um ein gigantisches Projekt namens "Neue Seidenstraße", für das die Regierung in Peking 2014 einen Fonds mit 40 Milliarden Dollar aufgelegt hat. Eine Eurasische Verbindung mit Bahntrassen, Wasserwegen, Energieversorgung und Infrastruktur soll Asien, Ozeanien und Europa enger zusammenbringen und eine Brücke für chinesische Investitionen bilden.

In Italien sind Chinesen schon lange aktiv; die Investitionen in der Textilstadt Prato, bei Traditionsfirmen wie Pirelli oder bei den Energieversorgern Eni und Enel machen sie zu einem tragenden Faktor der Wirtschaft. In Spanien hat sich die Summe der Investitionen 2016 vervierfacht, auf 1,7 Milliarden Euro. Im Blick haben die Investoren aus Asien vor allem den Immobilienmarkt, wo nach der geplatzten Spekulationsblase Schnäppchen winken. Auch Portugal ist ein Eldorado chinesischer Einkäufer. In dem Buch "Negócios de China" zeigen zwei portugiesische Journalistinnen auf, wie die Vorgaben der EU-Troika das Land zum Selbstbedienungsladen gemacht haben. Der Einstieg beim Energieversorger EDP infolge der erzwungenen Privatisierung von Staatsunternehmen war die größte Investition eines chinesischen Energieriesen außerhalb Chinas. Die deutsche Eon ging leer aus, den Bemühungen der Kanzlerin zum Trotz.

Neue Abhängigkeiten erschweren eine gemeinsame europäische Außenpolitik

Über die so genannte 16+1-Gruppe hat China sich ein zusätzliches Standbein in Europa geschaffen. Es zeigt, dass Peking wirtschaftliche Expansion neuerdings mit politischen Interessen verbindet. Die Gruppe umfasst elf mittel- und osteuropäische EU-Staaten sowie fünf Balkanländer, die immer wieder Sympathie für Peking erkennen lassen. Nach Ansicht von Diplomaten aus anderen EU-Staaten sind daraus ungute Abhängigkeiten erwachsen, die eine gemeinsame europäische Außenpolitik erschwerten. China nutze das, um seine politischen Botschaften in die EU einzuschleusen. Es seien "spalterische Tendenzen" zu erkennen. "Manche ordnen die Menschenrechte ihren wirtschaftlichen Interessen unter", sagt ein Diplomat. "Wir halten davon nichts. Wir sprechen das Thema bei bilateralen Treffen mit Stärke und Klarheit an. Die Chinesen verstehen das." Allerdings stünden gewisse EU-Staaten unter stärkerem wirtschaftlichen Druck.

Aus dem EU-Parlament kam scharfe Kritik an den Griechen. Deren Begründung sei "fadenscheinig und oberflächlich", sagte der SPD-Abgeordnete Jo Leinen. "Es steht zu befürchten, dass chinesische Investitionen in Athen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Abhängigkeiten schaffen." Die EU solle sich dagegen wehren, dass Peking Druck auf einzelne Mitgliedstaaten ausübe, um eine gemeinsame EU-Erklärung zu beeinflussen.

Menschenrechtsorganisationen forderten, den für Mittwoch und Donnerstag in Brüssel geplanten Dialog mit China auszusetzen. Sie wiesen auf weitere Beispiele hin, die zeigten, dass die EU sich nicht mehr zu einem kritischen Kurs bekenne: Beim jüngsten EU-China-Gipfel seien die Menschenrechte nicht öffentlich angesprochen worden; außerdem habe die EU sich am 4. Juni nicht zum Jahrestag des Tiananmen-Massakers geäußert. Der Trend sei "extrem beunruhigend", urteilte Amnesty International.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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