Süddeutsche Zeitung

Einwanderungsdebatte in der CDU:Erlauben oder einladen

Die CDU ist zerrissen wie selten bei einem Thema: Innenminister de Maizìère sorgt sich um die Zustimmung der Wähler, Generalsekretär Tauber will die Einwanderung offensiv angehen. Und Merkel? Die wartet ab.

Kommentar von Stefan Braun

Die SPD ist dafür, die Grünen sind es schon lange. Ja, selbst die Alternative für Deutschland (AfD) verlangt es. Und so stehen die Christdemokraten inzwischen ziemlich alleine da mit der Frage, ob auch sie für ein neues, umfassendes Einwanderungsgesetz eintreten sollen. Zu Jahresanfang gelang ihnen sogar Kurioses. Am 7. Januar erklärte Generalsekretär Peter Tauber, warum Deutschland ein umfassendes neues Gesetz dringend benötige - und Bundesinnenminister Thomas de Maizière legte am selben Tag dar, warum er so etwas für überflüssig und rückständig halte. Der eine hü, der andere hott - selten hat eine Partei so präzise getan, was Parteien auf keinen Fall tun möchten: öffentlich streiten.

Doch was wie ein Unfall aussah, hat tiefere Gründe. Tauber und de Maizière - das ist zu einem Duell besonderer Art geworden: Jungspund gegen alter Hase, Neuling gegen geballte Erfahrung, Leidenschaft gegen nüchterne Verwaltung. Eine derartige Konstellation hat es in der Merkel-Partei lange nicht mehr gegeben.

Interessant daran ist, dass sich Tauber und de Maizière in den Details künftiger Regeln gar nicht so sehr unterscheiden. Ihr größter Konflikt besteht in der Frage, ob man Politik gestalten und drängende Themen durch eigene Vorschläge in Besitz nehmen sollte - oder ob man sie besser möglichst ruhig verwaltet. Tauber will das große Feld Zuwanderung und Integration prägen und Deutschland tatsächlich zu einem einladenden Land machen. De Maizière fürchtet, dass solche Debatten zwar Wind machen, aber Gutes dadurch eher zerfleddert wird und Gesetze am Ende nicht besser werden. Er verweist deshalb darauf, dass es schon heute viele Möglichkeiten der Zuwanderung gebe, diese Möglichkeiten längst in großem Umfang genutzt würden und deshalb ein neues Gesetz gar nicht erst gebraucht werde.

Übersichtlich ist an der aktuellen Rechtslage gar nichts

Kurioserweise haben beide recht. Nach Deutschland wandern derzeit in der Tat mehr Menschen ein als das Land verlassen. Gründe für diese Netto-Zuwanderung sind die Freizügigkeit in der EU; die sogenannte Blue Card, mit der Firmen Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland holen können; das Asylrecht. Technisch-juristisch hat de Maizière also gar nicht so unrecht. Richtig ist aber auch, dass die vielen Regeln nicht in einem einzigen, verständlich formulierten Gesetz zusammengefasst sind, sondern sich in vielen verschiedenen Gesetzen finden.

Übersichtlich also ist daran gar nichts, und nur die wenigsten kennen wirklich alle Regeln. Aus diesem Grund wirken sie nicht wie eine Einladung an gut ausgebildete Menschen, sich auf Dauer in Deutschland heimisch zu fühlen. Die Regeln erscheinen wie ein Flickenteppich aus Genehmigungen, die es einem allenfalls gestatten, eine Weile hier arbeiten zu dürfen. De Maizière geht es ums Erlauben, nach dem Motto: Ihr dürft kommen. Tauber geht es um die Geste der Einladung. Seine Botschaft: Ihr seid herzlich willkommen.

Wer sich durchsetzen wird, ist offen. Beide haben Unterstützer, Tauber eher bei den Jüngeren, die eine offensive Antwort auf die Alterung der Gesellschaft fordern; de Maizière vor allem bei den Konservativen, die in Zeiten von Pegida und Terror-Debatten nicht über mehr Einwanderung reden möchten. Dass die Kanzlerin seit Monaten alles prüfen lässt, kann man freilich als Zeichen lesen: Je länger bei Angela Merkel solche Prüfungen dauern, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie alte Positionen aufgibt. Und das wäre absolut richtig.

Tauber will eine für Deutschland existenzielle Frage offensiv angehen; de Maizière sorgt sich um Debattenkultur und aktuelle Zustimmung. Ersteres ist bitter nötig, und Letzteres sollte nicht länger Hindernis sein, um ein modernes Einwanderungsgesetz endlich auf den Weg zu bringen.

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SZ vom 17.03.2015/dayk
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