Süddeutsche Zeitung

Einwanderung:Warum Deutschland ein Integrationsministerium braucht

Kanzleramtsminister Altmaier will kein Ministerium für Flüchtlinge, Migration und Integration. Sein Einwand speist sich aus schlechter Erfahrung und hat einiges für sich. Falsch ist er trotzdem.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Peter Altmaier ist sich sicher: Ein Integrationsministerium braucht es nicht, ist nicht nötig, würde nichts besser machen. Der Kanzleramtsminister steht an einem Abend in dieser Woche vor gut zweihundert Leuten; er spricht über die Herausforderungen bei der Aufnahme und Integration von Hunderttausenden Menschen. Und er lässt keinen Zweifel, dass trotz vieler Probleme und großer Aufgaben ein neues Ministerium dabei nicht weiter helfen werde. Altmaier präsentiert sich sehr überzeugt von der eigenen Linie - und erhält in seiner Auffassung auch noch ausdrückliche Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel. Falsch liegt er damit trotzdem.

Flüchtlinge, Migration und Integration - das ist nicht nur eine Aufgabe unter vielen. Es ist das Thema der ausgehenden Legislaturperiode gewesen. Wie kein anderes hat es in den vergangenen drei Jahren die Republik, die Parteien und die ganze Gesellschaft beschäftigt. Nicht jeder ist betroffen; aber für die allermeisten ist die Frage, wie viele Menschen kommen und wie man die Menschen integriert, zu einer zentralen Frage geworden. Dabei geht es ums eigene Leben, ums soziale Gefüge im Lande, um die Chancen der eigenen Kinder. Und es geht um die Frage, ob Deutschland jenes Land bleibt, das man sich für sich selbst wünschen würde.

Diese Fragen stellen sich nicht nur die Kritiker der Flüchtlingspolitik und erst recht nicht nur diejenigen, die Merkel seither mit Hass bekämpfen, so wie es unter anderem die AfD tut. Diese Fragen stellen sich so gut wie alle Menschen. Und sehr viele Menschen tun es in der Erinnerung an jene Krise, in der der von Kanzlerin Merkel und ihrem Kanzleramtschef Altmaier geführten Regierung phasenweise das Management aus den Händen glitt. Es gab Momente, in denen viele Flüchtlinge bei ihrer Ankunft gar nicht mehr registriert wurden; es gab Wochen, in denen niemand in der Regierung sagen konnte, wann der Andrang wieder zurück geht. Viele Menschen, darunter auch jene, die die Hilfsbereitschaft im Grundsatz begrüßten, werden nicht vergessen, wie es sich anfühlte, als der Regierung das Regieren aus dem Ruder lief.

Budgets sind nicht alles, aber Budgets sagen viel aus über eine Regierung

Ein Grund dafür war im Herbst 2015 die schiere Menge der Flüchtlinge. Aber noch wichtiger war die Tatsache, dass es in der Regierung viel zu lange keine Bündelung der Organisation, keine dem Problem angemessene Zusammenarbeit der Minister und keine adäquate Ansprache an die Menschen gegeben hat. Der Bundesinnenminister ertrank im bürokratischen Aufwand; die Kanzlerin kämpfte vor allem mit den Ländern, mit der CSU, mit den europäischen Kritikern des Ganzen; und der Rest im Kabinett machte sich lange einen schlanken Fuß, statt alle verfügbaren Ressourcen in Gang zu setzen. Die Aufgabe war riesig - und legte die Probleme einer unvorbereiteten, schlecht organisierten Administration offen.

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, warum dieses Land ein eigenes Ministerium, einen Ort zur Bündelung der Kräfte und der Ideen benötigt, dann ist es die vergangene Legislaturperiode gewesen. Es reicht eben nicht, wenn ein in Zeiten des Terrors ohnehin sehr beanspruchtes Innenministerium auch noch die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen organisieren soll. Es reicht auch nicht, wenn ein Kanzleramtsminister irgendwann als Koordinator auftritt. Das ist von jeher sowieso seine Aufgabe - und überforderte gleichwohl auch ihn, obwohl er das nicht wirklich wahrhaben wollte.

Und es reicht erst recht nicht aus, wenn nicht nur die erste Aufnahme organisiert werden muss, sondern eine kluge, weitsichtige Integration der Flüchtlinge und der schon viel länger im Land lebenden Migranten. Ein Integrationsministerium dürfte und würde sich nicht nur um einige hunderttausend Flüchtlinge kümmern. Es geht um die Millionen Menschen, die schon lange im Land leben und in zweiter und dritter Generation nach wie vor erhebliche Probleme haben. Jeder fünfte Deutsche hat inzwischen ausländische Wurzeln. Es geht um eine klare Botschaft, um die ehrliche Bereitschaft, um das unmissverständliche Bekenntnis.

Altmaiers stärkstes Gegenargument lautet, ein neu geschaffenes Integrationsministerium würde schleichend dazu führen, dass sich alle anderen Ministerien bei der Integration aus der Verantwortung stehlen würden. Dieses Argument ist nicht schlecht. Altmaier nämlich musste selbst erleben, wie genau das zu Beginn der Krise passierte: Während viele Beamte im Kanzleramt und im Innenministerium bis an die Grenze des physisch Möglichen ackerten, schauten manch andere Minister und Ministerien ziemlich lange zu - und beschränkten ihr Engagement auf ein bisschen Kritik hier und einige Bedenken dort. Erst als das Kanzleramt unter dem Druck der fatalen Krise alles an sich zog und gleichzeitig das gesamte Kabinett zur Mitarbeit verpflichtete, endete dieses Schauspiel.

Trotzdem zeigt die Geschichte nicht, dass ein Integrationsministerium überflüssig wäre. Sie zeigt, wie wichtig es ist, das Thema auch über akute Notlagen hinaus endlich zu bündeln. Es als absolut zentrale Aufgabe kenntlich zu machen. Es mit Ressourcen, Experten und politischer Wucht auszustatten. Und das kann nicht gelingen, wenn es - wie bisher - ein bisschen in diesem und ein bisschen in jenem Ministerium behandelt wird. Es gelingt nur, wenn ihm endlich der angemessene Platz am Kabinettstisch eingeräumt wird. Dann ist jeden Tag jemand da; dann hat ein ganzes Ministerium die Aufgabe, Lösungen zu entwerfen; dann müssen eine Kanzlerin und ein Finanzminister jedes Jahr aufs Neue begründen, wie viel Geld und welche Möglichkeiten sie diesem Haus in die Hand geben. Budgets sind nicht alles, aber Budgets sagen viel aus über eine Regierung.

Das im Übrigen gilt auch für die Besetzung eines Integrationsministeriums. Natürlich könnte man es in junge talentierte Hände legen. Spektakulärer aber wäre es, wenn man dieses Thema - ein zentrales soziales, gesellschaftliches, für die Zukunft Deutschlands mitentscheidendes Thema - einem prominenten, einflussreichen Minister anvertrauen würde. Ursula von der Leyen beispielsweise - oder Peter Altmaier. Wie sagte er es an jenem Augustabend in dieser Woche: Der wirtschaftliche und soziale Erfolg von Staaten und Gesellschaften hänge in besonderem Maße davon ab, wie gut sie neue Menschen integrieren können. An der Stelle hat er absolut recht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3638735
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/fued
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.