Die CDU will den Kompromiss mit der SPD zur doppelten Staatsbürgerschaft aufkündigen. Beim Parteitag in Essen stimmte eine knappe Mehrheit der Delegierten nach einer heftigen Debatte für einen Antrag der Jungen Union. Er sieht vor, die sogenannte Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wiedereinzuführen. 319 Delegierte votierten für die Wiedereinführung, 300 dagegen.
Die Parteimehrheit wandte sich damit gegen die Position der Parteispitze. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gegen den Beschluss ihrer Partei. Es werde in dieser Legislaturperiode keine Änderung dazu geben und sie halte den Beschluss persönlich für falsch, sagte die CDU-Chefin nach Ende des Parteitags vor Journalisten. "Ich glaube auch nicht, dass wir einen Wahlkampf über den Doppelpass machen, wie wir das früher mal gemacht haben."
Bundesinnenminister Thomas de Maizière und CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatten zuvor vergebens für den erst 2014 mit der SPD getroffenen Kompromiss geworben.
De Maizière: "Wir wollen das nicht rückabwickeln"
Es sei nicht schön, dies wieder zu kippen, sagte de Maizière. Er kenne auch keinen möglichen Koalitionspartner, mit der die CDU das Votum gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durchsetzen könnte. Außerdem würden die betroffenen, in Deutschland aufgewachsenen Menschen vor den Kopf gestoßen. Die CDU sei auch mit dem Kompromiss grundsätzlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, akzeptiere aber Ausnahmen. "Wir wollen das nicht rückabwickeln", sagte der Bundesinnenminister.
Tauber erklärte, die Übernahme der Staatsbürgerschaft führe nicht automatisch zur Übernahme der Werte, deshalb sei eine freiwillige Entscheidung besser. Grundsätzlich sei auch er gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.
Die CDU-Vizes Thomas Strobl und Julia Klöckner gaben sich von dem Votum unbeeindruckt: "Ist doch in Ordnung, wenn die CDU eine klare Position hat. Sie ist nur mit keiner anderen demokratischen Partei umsetzbar", sagte Strobl. Klöckners Reaktion: "Das ist Parteitag."
Unionsfraktionschef Volker Kauder hat Erwartungen in der CDU gedämpft, dass der Parteitagsbeschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft schnell umgesetzt wird. Ohne direkt auf die Entscheidung der Delegierten einzugehen, sagte Kauder: "Beschlüsse des Bundesparteitags werden natürlich in der Bundestagsfraktion ernst genommen." Die Delegierten müssten aber Verständnis dafür haben, dass ein Parteitagsbeschluss nicht gleich Gesetzestext werden könne.
CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn rief hingegen unter Jubel von Delegierten, natürlich müsse man in einer Koalition Kompromisse machen, "aber wir sind hier auf einem Parteitag". Es sei keine Zumutung, den jungen Menschen eine bewusste Entscheidung abzuverlangen.
Zwang zur Entscheidung erst 2014 aufgehoben
Die große Koalition hatte den Optionszwang erst 2014 aufgehoben. In Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern dürfen seither neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch den deutschen Pass dauerhaft behalten. Sie müssen dafür eine der folgenden Bedingungen erfüllen:
- Sie haben bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt.
- Sie haben hier sechs Jahre lang eine Schule besucht.
- Sie haben in Deutschland einen Schulabschluss erlangt oder eine Ausbildung abgeschlossen.
Zuvor mussten sie sich im Allgemeinen zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. Die Regelung ist vor allem für viele Kinder türkischer Eltern relevant.
Die Innenminister der Union hatten bereits vor einigen Wochen beschlossen, bis 2019 prüfen zu wollen, ob die Doppelpass-Regelung zur Integration beiträgt - oder das Gegenteil bewirkt.