Einwanderer der zweiten Generation:Im Schwebezustand

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Die Skyline Mailands: In der italienischen Stadt studiert Afrola Plaku, einen Pass bekommt sie nicht.

(Foto: Bloomberg)

Sie kam als Zweijährige nach Italien, studiert in Mailand, liebt die Kultur. Trotzdem muss sie jedes Jahr ihre Fingerabdrücke abgeben. Eine junge Albanerin erzählt vom Gefühl, nirgends dazuzugehören - und wie der fehlende Pass ihren Alltag beeinflusst.

Ein Gastbeitrag von Afrola Plaku

Wenn ich gefragt werde "woher kommst Du?", antworte ich: "Italien". Ich zögere keine Sekunde, auch wenn das so nicht ganz stimmt. Tatsächlich stimmt es überhaupt nicht. Auch wenn ich schon im Alter von zwei Jahren nach Italien kam, meine gesamte Ausbildung zwischen Triest und Mailand absolviert habe und mehr kitschige italienische Schnulzen und Filme kenne als meine Bekannten: Rein technisch bin ich immer noch Albanerin. Und das werde ich vermutlich auch zukünftig bleiben.

In Italien können Zuwanderer der zweiten Generation nur dann einen Antrag auf Staatsbürgerschaft stellen, wenn sie in Italien geboren sind (ius soli). Im Gegensatz dazu ist das Verfahren für diejenigen, die in ihrem Herkunftsland geboren sind, sehr viel schwieriger, da sie Dokumente aus einem Land vorweisen müssen, in dem sie seit Jahren nicht mehr leben. Zudem kostet es Geld und ist sehr zeitaufwändig (das Verfahren dauert ungefähr zwei Jahre und man kann sich erst bewerben, wenn man für drei aufeinander folgende Jahre ein geregeltes Einkommen nachweisen kann).

Ohne Zweifel ist das schwierig, auch wenn man in das sozio-ökonomische Umfeld des Landes gut eingebunden ist und nur die italienische Kultur kennt. Von meinen albanischen Wurzeln ist leider nur übrig geblieben, dass ich mit meiner Mutter die Sprache mehr schlecht als recht spreche, einen komischen Namen habe und meine Herkunft als Antwort für diejenigen parat halte, die sich wundern, warum ich so gut Englisch spreche.

Jedes Jahr müssen Fingerabdrücke abgegeben werden

Wie so viele Zuwanderer der zweiten Generation mit dem gleichen Problem, befinde ich mich in einem Schwebezustand und gehöre zu keiner Welt wirklich dazu - nicht wirklich zum Herkunftsland, mit dem man sich nicht mehr verbunden fühlt, und auch nicht zum Wohnsitzland, das einen nicht als Bürger mit allen Rechten anerkennt. Es fällt schwer, sich wirklich als vollwertiges Mitglied eines Landes zu fühlen, wenn man noch nie wählen durfte und jedes Jahr aufgefordert wird, seine Fingerabdrücke bei der Polizei registrieren zu lassen, um seine Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken zu verlängern.

Der wirtschaftliche Abschwung in Italien hat zu einer riesigen Unsicherheit im Leben der jungen Erwachsenen beigetragen: Angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von 42 Prozent und einem sehr starren Arbeitsmarkt, der die älteren Arbeitnehmer schützt, den Jüngeren aber nur flexible Verträge mit ungewisser Zukunft und fehlenden Planungsmöglichkeiten bietet, werden familiäre Bindungen immer wichtiger.

Wegziehen als einzige Chance

Selbst diejenigen, die Arbeit haben oder ein Praktikum machen, wohnen länger im Elternhaus, wenn sie ihre Heimatstadt nicht verlassen können. Die Entscheidung für eine Universität wird somit von wirtschaftlichen und räumlichen Erwägungen getroffen - und nicht auf Basis von akademischen Kriterien und dem Wettbewerbsvorteil der Institution getroffen. Das führt zu einem Rückgang der Mobilität und potenziell dazu, dass Studenten an falschen Orten das falsche Fach belegen.

Dies könnte insbesondere für Studenten der Mittelschicht zum Problem werden, die sich die "richtige" Universität, die zu ihren Begabungen und beruflichen Zielen passt, sowie die Ausgaben für den Umzug nicht leisten können, die aber auf der anderen Seite nicht bedürftig genug sind, um von Stipendien und sonstiger finanzieller Unterstützung profitieren zu können.

Ein Auslandsaufenthalt hat einen hohen Preis

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass viele Menschen meines Alters sich im Klaren sind, dass sie zu Beginn ihres Berufslebens einige Jahre im Ausland arbeiten müssen. Natürlich ist es gut, im Ausland zu studieren oder zu arbeiten, internationale Erfahrung zu sammeln und Fertigkeiten zu erwerben, die für die weitere berufliche und persönliche Entwicklung nützlich sind. Sorgen bereitet uns aber die verbreitete Wahrnehmung, dass es im Land selbst keine Möglichkeiten gibt und das Wegziehen die einige Chance ist, ein Erwachsenenleben zu beginnen und für seine Ausbildung und Fähigkeiten belohnt zu werden.

Diese Situation ist für Studenten ohne europäische oder italienische Staatsbürgerschaft sogar noch ernüchternder: Zusätzlich zu den Schwierigkeiten, vor denen italienische Studenten stehen, zahlen wir für Auslandserfahrung einen - manchmal wirklich unerschwinglich - hohen Preis, da jeder Aufenthalt in einem EU-Land, der länger als 90 Tage dauert, ein Visum und eine Aufenthaltserlaubnis im Zielland erfordert.

Schwierig, sich als Europäer zu definieren

Vor zwei Jahren habe ich an einem Austauschprogramm in Maastricht teilgenommen und musste zusätzlich zu meiner italienischen eine niederländische Aufenthaltserlaubnis beantragen. Diese beiden Anträge sowie der Nachweis, dass ich in beiden Ländern in gesicherten finanziellen Verhältnisse lebe, waren sehr teuer.

Und das gilt für jedes Praktikum beziehungsweise jeden Job, den ich im Ausland antreten möchte: Trotz meiner international ausgerichteten Ausbildung und dem mehr als 20-jährigen Aufenthalt in einem EU-Land, muss ich für einen Umzug ins Ausland einen hohen Preis bezahlen. Entweder rein monetär oder in Form des endgültigen Verlustes meiner (rechtlichen) Bindungen zu Italien, sollte ich mich entscheiden, dauerhaft in einem anderen Land zu leben.

Diese Situation ist unter Zuwanderern der zweiten Generation verbreiteter als angenommen: Kinder, die ihr ganzes Leben in Italien gelebt haben, stoßen trotzdem auf immer neue rechtliche Hürden, je mehr sie ihre Ausbildung vorantreiben und je mehr Berufserfahrung sie erwerben möchten. In einer Gesellschaft, die Gleichbehandlung und Leistungen regelmäßig als wichtig bezeichnet und dies dann Tag für Tag ignoriert, gibt es kaum Hoffnung. Man kann davon ausgehen, dass unsere Lebensbedingungen, also der Alltag einer relativ kleinen und politisch nicht einflussreichen Minderheit, die Politiker nicht interessieren und schon gar nicht Eingang in deren politische Agenda finden.

In Italien wurde vor einigen Jahren ein Integrationsministerium geschaffen - ein Ministerium ohne Portfolio, dessen vorrangiges Ziel es war, Aufmerksamkeit für die Themen Zuwanderung und Integration zu schaffen. Vor kurzem wurde das Ministerium wieder aufgelöst. Kein besonders ermutigendes Signal für diejenigen, die die Schwierigkeiten der Integration tagtäglich erleben.

Ich habe keine Ahnung, was ich in fünf oder zehn Jahren antworten werden, wenn mich jemand fragt: "Woher kommst Du?". Trotz der Forderungen nach verstärkter Integration ist es sehr schwierig, sich als Europäer zu definieren, wenn Mobilität in der EU für einen nicht repräsentierten, kleinen aber wertvollen Teil der Bevölkerung so schwierig ist.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. Bis zur Europawahl Ende Mai werden in der Serie junge Europäer zu Wort kommen - streitbar, provokativ und vielfältig.

Afrola Plaku, 24, ist in Albanien geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Norditalien. Sie studiert Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Mailand mit Schwerpunkt internationaler Handel. Sie ist aktives Mitglied des Europäischen Jugendparlaments, hat am Erasmus-Programm in Maastricht teilgenommen und in der Europäischen Kommission in Brüssel gearbeitet. Nach ihrem Abschluss möchte sie in einem Forschungsinstitut oder für eine internationale Organisation arbeiten.

An English version of the text is available at the website of FutureLab Europe.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

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