Einsatz in Afghanistan:Obama heizt deutsche Abzugsdebatte an

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"Die Zeit vager Floskeln ist vorbei": Barack Obama gibt für Zehntausende US-Soldaten die Order zur Rückkehr aus Afghanistan, nun knöpfen sich SPD und Grüne die schwarz-gelbe Koalition vor: Die Bundesregierung möge gefälligst dem Beispiel des Präsidenten folgen.

Die Ankündigung von Präsident Barack Obama, bis zum Sommer 2012 mehr als 30.000 US-Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, hat weltweit Reaktionen hervorgerufen. Während die Nato und Afghanistans Präsident Hamid Karsai die Pläne Washingtons begrüßen, entbrannte in Deutschland die Debatte um den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch von Neuem.

Riskanter Einsatz fern der Heimat: Deutscher Isaf-Soldat in Afghanistan (Foto: REUTERS)

SPD und Grüne drängen die Bundesregierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sie möge sich ein Beispiel an Obama nehmen: Die schwarz-gelbe Koalition müsse spätestens im Herbst einen "klaren und konkreten Abzugsplan" für die deutschen Soldaten vorlegen und den Abzug bis Jahresende einleiten, forderten Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin und sein Stellvertreter Frithjof Schmidt. "Die Zeit vager Floskeln und schwammiger Ankündigungen muss spätestens nach der Rede Obamas vorbei sein".

Die Bundesregierung habe sich bislang "im Gegensatz zu vielen anderen Isaf-Partnern einer konkreten Abzugsplanung verweigert", kritisierten die Grünen-Politiker. "Deutschland darf aber nicht zur militärischen Nachhut der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan werden." Der Einsatz der Bundeswehr müsse bis 2014 beendet werden.

"Keine Abhängigkeit von US-Entscheidungen"

Ähnlich sehen das die Sozialdemokraten: SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier verlangte von der Regierung Klarheit über den Abzugstermin. Dies könnten auch die Soldaten und Polizisten des deutschen Einsatzes erwarten, sagte der frühere Außenminister bei einem Besuch der deutschen Truppen in Nordafghanistan. Obama hat Steinmeier zufolge mit seiner Ankündigung Maßstäbe gesetzt. Steinmeiers früherer Staatsminister und heutige SPD-Fraktionsvize Gernot Erler betonte in Berlin, nur wenn der international vereinbarte Übergabeprozess bis 2014 eingehalten werde, bestehe eine Chance auf Erfolg.

Das Regierungslager reagierte nach Obamas Rede zunächst zögerlich. Deutschland soll die Entscheidung zur Reduzierung seiner Truppen in Afghanistan nach Ansicht des CDU-Außenpolitikers Andreas Schockenhoff nicht von den USA abhängig machen. "Nach der Entscheidung von US-Präsident Barack Obama kann es deshalb nicht sein, dass die Bundeswehr nun ebenfalls in proportionaler Weise Soldaten zurückzieht", sagte der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende. "Die Bundesregierung muss im Herbst zu einem eigenen Urteil kommen, wie sich die Lage im Norden entwickelt hat." Erst dann könne entschieden werden. Es sei weiter falsch, ein Datum für das Ende eines Abzugs zu nennen. Er habe weiter die Hoffnung, dass die Verantwortung für die Sicherheit 2014 den Afghanen übergeben werden könne, sagte Schockenhoff.

Lob für Obama

Gleichzeitig lobte er den Präsidenten: Die von Obama eingeleitete Strategiewende sei erfolgreich gewesen. Das Bild im Norden, für den die Deutschen die Verantwortung haben, sei aber nicht klar.

In Paris reagierte man sofort auf Obamas Rede: Frankreich leitet ebenso wie die USA den Truppenabzug ein. Angesichts der erzielten Fortschritte werde man mit einem schrittweisen Abzug der Kräfte beginnen, ließ Staatspräsident Nicolas Sarkozy mitteilen. Der Abzug der derzeit rund 4000 Soldaten soll nach einem ähnlichen Zeitplan wie der der Amerikaner erfolgen und diesem auch von der Größenordnung prozentual entsprechen. Der britische Premierminister David Cameron bekräftigte seine Pläne, die 9000 Soldaten seines Landes bis 2015 aus Afghanistan abzuziehen. Derzeit sind etwa 100.000 US-Soldaten am Hindukusch im Einsatz.

Wahlergebnis teilweise annulliert, Abgeordnete verlieren Sitze

Inzwischen meldeten sich auch die islamistischen Taliban zu Wort: Die Islamisten kritisierten die angekündigte Truppenreduzierung als ungenügend und drohten mit einer Eskalation der Gewalt. "Die Lösung der Krise in Afghanistan liegt in dem sofortigen vollständigen Abzug aller ausländischen Truppen", teilten die radikal-islamischen Aufständischen mit. "Solange dies nicht geschieht, wird unser bewaffneter Kampf Tag für Tag stärker werden."

In ihrer an Medien versandten Stellungnahme teilten die Taliban mit, die Einschätzung der USA, dass ihre Truppen Fortschritte in Afghanistan erzielt hätten, sei "Propaganda" und entbehre jeder Grundlage. "Der amerikanische Steuerzahler muss begreifen, dass sein Geld wie in den vergangenen zehn Jahren immer noch für diesen sinn- und zwecklosen Krieg verschwendet wird oder immer noch in die Taschen von Regierungsbeamten des korrupten Kabuler Regimes fließt."

Obamas Rede überdeckt eine andere wichtige Nachricht: Etwa neun Monate nach der Parlamentswahl in Afghanistan kommt es zu ersten Konsequenzen aus den Betrugsvorwürfen. Ein afghanisches Sondergericht hat nach einer Neuauszählung aller gültigen Stimmen einen Teil der Wahlergebnisse revidiert. Demnach müssen nun Dutzende Abgeordnete ihre Posten wieder räumen. Aus Kreisen der Wahlbehörden verlautete, dass bis zu 70 Mitglieder des 249 Sitze zählenden Parlaments ihre Stelle freimachen müssen. Es wird befürchtet, dass dies zu einer Verfassungskrise führen könnte.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/Reuters/dapd/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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