Einigung im Schuldenstreit:Drei Krisen, die Amerika noch lange lähmen werden

Der Kompromiss im Haushalts- und Schuldenstreit zeigt das Grundsatzproblem Amerikas. Die Elite in Washington drückt sich seit Jahren davor, die wichtigsten Probleme des Landes zumindest mittelfristig zu lösen. Zu wenig Wachstum, Dauerblockade im Parlament und Polarisierung in der Gesellschaft: Es liegt nicht nur an den Betonköpfen der Tea Party, dass die USA sich selbst blockieren.

Von Matthias Kolb

Alles noch mal gut gegangen. Aber nur vorerst. In die Erleichterung über den Last-Minute-Deal im wochenlangen US-Haushaltsstreit mischt sich unter den Polit-Beobachtern und Analysten schon bald nach der Einigung eine gehörige Portion Skepsis. Gewiss: Die größte Volkswirtschaft der Welt bleibt zahlungsfähig, die USA konnten einen globalen Finanzkollaps vermeiden. Die grundlegenden Probleme bleiben jedoch bestehen.

Amerikas Politiker drücken sich vor der unbequemen Wahrheit, so das Urteil der Kommentatoren, die dafür eine Metapher haben: kicking the can down the road. Im Nachrichtensender CNN hielt der Finanzexperte Richard Quest die symbolische Dose in die Kamera, die Demokraten und Republikaner stets nur ein paar Meter weiter kicken.

Eine große Lösung für Amerikas Schuldenproblem würde einige Jahre Ruhe bringen und den Streit über das Budget entschärfen, doch ein Kompromiss wäre für beide Parteien mit schmerzhaften Zugeständnissen verbunden. Deshalb einigen sich Republikaner und Demokraten seit geraumer Zeit unter maximalem Getöse immer nur auf minimale Kompromisse, die höchstens ein paar Monate halten. So ist es auch jetzt: Die Schuldenobergrenze muss spätestens bis zum 7. Februar 2014 erneut erhöht werden.

Der Eindruck täuscht nicht: Die amerikanische Polit-Elite drückt sich seit langem davor, drei der wichtigsten Probleme des Landes zu akzeptieren - geschweige denn, dass sie ernsthaft an deren Lösung arbeiteten. Diese Verdrängungshaltung hat auch maßgeblich zur misslichen Lage beigetragen, in der sich das Land heute befindet.

Problem 1: Amerika verliert an Dynamik. Verglichen mit der Europäische Union (0,3 Prozent) ist das US-Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent im zweiten Quartal 2013 recht ansehnlich. Allerdings genügt es noch lange nicht, um die Arbeitslosigkeit merklich zu senken und genügend Jobs zu schaffen. Wegen der schleppenden wirtschaftlichen Erholung geht die Zahl der Einwanderer gerade aus Mexiko und anderen mittel- und südamerikanischen Staaten zurück.

Doch die USA brauchen junge Einwanderer gerade für den Dienstleistungssektor - und um die Alterung der Gesellschaft bremsen zu können. Auch hier gilt: Amerika ist ein weiterhin deutlich jüngeres Land als Deutschland, Frankreich oder Italien. Aber wenn in den kommenden Jahren Millionen von Baby-Boomern (Jahrgänge 1946-1964) in den Ruhestand gehen, muss deren soziale Absicherung finanziert werden.

Dass die USA weiterhin über ihre Verhältnisse leben und Unmengen an Schulden anhäufen, ist auf Dauer kein ausreichendes wirtschaftspolitisches Konzept. Unter dem Begriff grand bargain streiten Demokraten und Republikaner seit Jahren über eine umfassende Lösung. An sich ist der Ausweg klar: Die Republikaner müssten akzeptieren, dass der Staat mehr Einnahmen braucht, während die Demokraten Einschnitte bei den Sozialleistungen hinnehmen müssten.

Der konfrontative Stil von Demokraten und Republikanern in den vergangenen Monaten hat die Chance auf eine Einigung sicher nicht erhöht.

Problem 2: Das politische System funktioniert nicht mehr Die Staatsgründer haben sehr genau darauf geachtet, dass sich die Verfassungsorgane (Präsident, Kongress und Oberstes Gericht) gegenseitig kontrollieren. Dieses System der checks and balances zwingt die Akteure zur Zusammenarbeit. Und Amerika ist damit mehr als zwei Jahrhunderte lang gut gefahren. Doch seit einigen Jahren stehen sich Demokraten und Republikaner zunehmend feindselig gegenüber - und es sind nicht mehr nur die Konservativen, die "Kompromiss" für ein Schimpfwort halten.

Gegenseitige Beleidigungen, Kriegsrhetorik und apokalyptische Szenarien prägen den Diskurs in Washington. Da die Abgeordneten einen Großteil ihrer Zeit damit verbringen, Spenden für die teuren Wahlkämpfe einzuwerben, bleibt immer weniger Gelegenheit für Gespräche mit der Gegenseite. Demokraten und Republikaner kennen sich persönlich immer schlechter, auch, weil sich viele Politiker nur von Dienstag bis Donnerstag in der verhassten Hauptstadt Washington aufhalten.

Jede Seite fühlt sich im Recht

Ein Grund für die momentane Blockade liegt auch darin, dass sich sowohl Präsident Obama als auch viele Tea-Party-Hardliner darauf berufen, bei den Wahlen im November 2012 einen klaren Wählerauftrag erhalten zu haben - nur leider sind diese beiden Selbstwahrnehmungen nicht kompatibel. Wie Obama demonstrierte auch Harry Reid, der Chef der Demokraten im Senat, in den vergangenen Wochen eine Unnachgiebigkeit, die kein Republikaner so schnell vergessen wird. Kurzfristig mag dies das eigene Ego und die Parteibasis begeistern und Reid eine gute Presse bescheren, aber spätestens in ein paar Wochen müssen sich beide Seiten wieder zusammensetzen.

Bisher gibt es keinerlei Anzeichen, dass Tea-Party-Hardliner die Ereignisse der vergangenen Wochen als Niederlage begreifen - alle Äußerungen deuten darauf hin, dass sie weiter auf ihren Prinzipien (radikaler Schuldenabbau, so wenig Einfluss des Staats auf Wirtschaft und Gesellschaft wie möglich) beharren werden. In dieser vergifteten Atmosphäre erscheint es zweifelhaft, dass ein "Superkomitee" mit Vertretern aus beiden Parteien bis Mitte Dezember konsensfähige Vorschläge zum Abbau des Haushaltsdefizits erarbeiten kann. Eine solche Arbeitsgruppe wurde bereits nach dem letzten Schuldengrenzendebakel im Sommer 2011 installiert - und scheiterte grandios.

Problem 3: Die USA driften immer weiter auseinander Dass der Unterschied zwischen Amerikas Armen und der Mittelschicht auf der einen Seite und der kleinen Elite der Superreichen auf der anderen immer stärker wächst, ist seit Mitte der neunziger Jahre zu beobachten. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Löhne seit fast zwanzig Jahre stagnieren, während etwa von Obamas Paket zur Stabilisierung der Wirtschaft nach der Finanzkrise 2008 vor allem das oberste Prozent profitierte.

Ein weiterer wichtiger Grund für die große Polarisierung ist das Phänomen der "Balkanisierung": Sowohl die Anhänger der Republikaner als auch die der Demokraten bleiben inzwischen am liebsten unter sich und ziehen in Gegenden, in denen die Nachbarn wie sie denken. Dies hat großen Einfluss auf die Politik, wie der Publizist Bill Bishop anhand von Statistiken errechnet hat: "52 Prozent der US-Bürger lebten 2012 in einem Wahlkreis, in dem die siegreiche Partei mindestens 20 Prozentpunkte Vorsprung hatte."

Wenn in vielen Stimmkreisen von Beginn an feststeht, welche Partei gewinnt, dann setzen sich meist die radikaleren Kandidaten durch, die an der Basis besser ankommen. Diese Abgeordneten sind dann noch weniger zu Kompromissen bereit - teils aus Überzeugung oder aus Sorge vor einem noch radikaleren Gegner aus den eigenen Reihen.

Ein weiteres Problem, dass Republikaner und Demokraten zwar regelmäßig beklagen, aber dennoch nicht lösen: Die Wahlkreise werden in den Bundesstaaten von der jeweils regierenden Partei so zugeschnitten (gerrymandering bzw. redistricting), dass die eigenen Kandidaten besonders hohe Siegchancen haben. Eine Änderung dieser Praxis ist nicht in Sicht - damit sinken die Chancen auf künftige Kompromisse in Washington.

Dass wohl vielen der 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses klar ist, wie schwierig und wie frustrierend die kommenden Wochen sein werden, zeigte sich nach der abendlichen Abstimmung. Wie die Washington Post berichtet, blieb der Applaus aus: "Normalerweise wird laut gejubelt. wenn eine wichtige Abstimmung gewonnen wurde. Aber in diesem Fall blieben beide Seiten still und verließen schnell den Saal."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: