Süddeutsche Zeitung

Einigung auf Grundrente:Hoffnungsschimmer für Senioren - und die große Koalition

Der Dauerstreit um die Grundrente war taktisch geprägt. Ohne eine Einigung wäre die große Koalition wohl am Ende gewesen. Der Kompromiss enthält viel Gutes - auch wenn Mängel bleiben.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Für die Bundesregierung war die Grundrente eine Existenzfrage geworden. Kann diese Koalition noch zu Ergebnissen kommen? Will sie noch? Die Auseinandersetzung begann nach dem ersten Entwurf im Frühjahr. Selbst bis zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland, wo besonders vielen Bürgern Altersarmut droht, gelang keine Einigung. Der Dauerstreit reflektiert die Schwäche sowohl der SPD als auch der Union: geschrumpfte Volksparteien, die zwischen Trendgrünen und Rechtspopulisten ihre Rolle suchen. Sich nun doch auf eine Grundrente zu einigen, war ihre letzte Chance, sich regierungsfähig zu zeigen.

Hätte die große Koalition am Sonntag kein Ergebnis erzielt, wäre das ein desaströses Signal gewesen: Seht her, wir können und wollen nicht mehr. Etwas anderes könnte es nicht sein. Denn die inhaltlichen Differenzen, das legten Fachleute dar, die ließen sich lösen.

Die Grundrente weiter zu vertagen, hätte Millionen vor den Kopf gestoßen

Der Streit zwischen Union und SPD war vor allem ein taktischer, es ging um Positionierung. Wie gewinnt die seit Schröders Agenda dezimierte SPD mit betont linker Politik Wähler zurück? Und wie verhindert die Union, dass ihr noch mehr konservativere Bürger abhandenkommen?

Doch irgendwann muss eine Regierung Ergebnisse vorlegen, will sie eine Regierung bleiben. Gerade bei einer Frage, die die Menschen umtreibt. Die Grundrente weiter zu vertagen, hätte Millionen vor den Kopf gestoßen. Jeder vierte Deutsche fürchtet, im Alter arm zu werden. Solche Sorgen sind zumindest teils berechtigt. Müttern, die lange beruflich aussetzen oder in Teilzeitfallen landen, fehlt später Geld. Außerdem ist die globalisierte und neoliberale Wirtschaftswelt härter als früher. Niedriglöhne nahmen zu - und damit Niedrigrenten. Die Altersarmut wird in den nächsten Dekaden anschwellen.

Doch wenn Bürger nach langem Berufsleben in die Sozialhilfe rutschen, rührt das an die Fundamente der Gesellschaft. Organisationen wie die OECD kritisieren, dass Deutschland Wenigverdiener im Alter schlechter stellt als andere Nationen. Das kann eine Grundrente, die geringe Altersbezüge aufstockt, teilweise reparieren.

Es wäre falsch, die Grundrente auch an gut versorgte Senioren zu zahlen

Allerdings schoss die SPD bei ihrem Ursprungsplan übers Ziel hinaus. Senioren mehr zu zahlen, ohne irgendwie die Bedürftigkeit zu prüfen, widerspricht dem Gerechtigkeitsgefühl vieler - und verschwendet Geld. Die SPD wollte betont linke Politik machen, um sich von der Union abzusetzen. Das ist verständlich, weil Kanzlerin Angela Merkel seit 2005 vom Mindestlohn bis zur Mietpreisbremse immer neue sozialdemokratische Positionen reklamierte und so die SPD schwächte.

Aber es wäre in der Sache falsch, eine Grundrente auch an gut versorgte Senioren zu zahlen. Und warum sollte das bei der klassischen SPD-Klientel populär sein?

Die Sozis hatten sich ebenso verrannt wie die Union, die auf stur schaltete, weil sie nach der Merkel-Ära inhaltlich so ausgezehrt ist, dass ihr ein Rentenkonzept fehlt. Der Kompromiss mit einer Prüfung des Einkommens ebnet nun den Weg, Altersarmut zu bekämpfen. Die Union hat auch durchgesetzt, dass Betriebsrenten ebenso gefördert werden wie die deutsche Wirtschaft, die im Abschwung steckt.

Beides ist richtig. Am Gesamtplan bleiben Mängel wie der, dass die Grundrente keiner bekommt, der weniger als 35 Jahre in die Rentenkasse einzahlte. Aber insgesamt ist die Einigung ein Hoffnungsschimmer - für künftige Senioren genauso wie für die angeschlagene Groko.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019/tba
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