Einflussnahme in der EU:Wenn die Lobby den Kühlschrank ersetzt

Die Europapolitik, ein Wellnessurlaub? Ein EU-Parlamentarier aus Österreich berichtet, Einflüsterer böten ihm Einladungen und Geschenke im Wert von 65.000 Euro an. Seine Rolle als Anwalt der Transparenz ist allerdings durch Vorwürfe belastet.

Von Nadia Pantel

Um im Brüsseler EU-Parlament unabhängig zu bleiben, bedarf es echter Willenskraft. Das behauptet zumindest der österreichische EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin. Seit genau zwei Jahren schreibt Martin alle Einladungen und Geschenke auf, die er von Lobbygruppen bekommt.

Angefangen hat er seine Sammlung mit der Einladung der Österreichischen Notariatskammer zu einer "Gruselwanderung mit Cocktails" am 1. April 2011. Die jüngste Einladung zu Gratis-Luxustagen in China kam am 4. April 2013 von der Asia-Pacific Association, einer internationalen Handelsorganisation.

Rechne er all die Angebote zusammen, komme er auf einen Gesamtwert von 65.000 Euro, schreibt Martin. "Ein zurückhaltender Schätzwert", wie der fraktionslose Österreicher betont. "Das sind durchschnittlich mehr als drei Lobby-Versuche pro Arbeitstag."

Auf seiner Website hat Martin den Lobby-Ticker eingeführt. Dort lädt er alle Einladungen hoch, die ihn erreichen. Abends die Einladung eines irischen EU-Parlamentariers, regionale Spezialitäten bei traditioneller Musik zu genießen. Am nächsten Tag dann Mittagessen mit der Arbeitsgruppe zu Datenschutz im EU-Parlament, abends Cocktails mit einem US-amerikanischen High-Tech-Verband. Ein eigener Kühlschrank wäre für den Politiker kaum noch vonnnöten. Und um durch all das Essen nicht aus der Form zu geraten, lädt Google regelmäßig zur Entspannung auf dem Massagestuhl ein.

Mit Maulkorb ins Parlament

Überrascht ist Martin davon jedoch nicht. Mit seiner eigenen Partei "Liste Dr. Martin - Für echte Kontrolle in Brüssel" trat der ehemalige Spiegel-Journalist 2004 erstmals zur Europawahl an. Sein Ziel: staatliches Handeln transparent zu machen. Da er dabei weder vor Intrigen noch vor schrillen Tönen zurückschreckt, bezeichnete ihn die Zeit bereits als "Rumpelstilz des Europäischen Parlaments". Aktuell ist Martin der einzige Vertreter seiner Partei im Europaparlament. Ursprünglich war Martins Partei 2009 mit drei Mandaten ins Parlament eingezogen.

Seine Mitstreiter verließen ihn jedoch. Der Vorwurf: mangelnde Transparenz. Sowohl seine ehemaligen Mitarbeiterinnen Angelika Werthmann und Karin Resetarits als auch sein einstmals engster Verbündeter Martin Ehrenhauser werfen dem Politiker vor, Wahlkampfgelder veruntreut zu haben. Im September 2011 hob das Europaparlament in Straßburg die parlamentarische Immunität des österreichischen Abgeordneten Hans Peter Martin auf, um die Vorwürfe aufklären zu können. Martin streitet bis heute alle Vorwürfe ab und bezeichnet sie auf Anfrage der SZ als "infamen Rufmord". Im Oktober 2011 wurde er in Wien von der Staatsanwaltschaft verhört. Der Verfahren läuft noch.

Das änderte nichts an Martins Selbstbild als unbequemer Rebell: Auf seiner Homepage zeigt er Fotos, wie er mit einem großen, ledernen Maulkorb im EU-Parlament sitzt.

10.000 Euro für ein Treffen mit Parlamentariern

Solche Possen schmälern jedoch nicht die Brisanz des Problems. Die Flut an Einladungen, die Martin offenlegt, sind dabei nur ein Teil der umfassenden Lobby-Arbeit, die in Brüssel stattfindet. So berichtet der Verein Lobby-Control, dass Datenschutz-Lobbyisten wie Amazon und Facebook bis zu 10.000 Euro im Jahr zahlen, um zu Treffen mit EU-Parlamentariern eingeladen zu werden, die sich mit der Reform der EU-Datenschutzreform beschäftigen. In der Folge würden viele Parlamentarier Anträge einbringen, die sie wortgleich von Vorschlägen der Internetfirmen übernehmen.

Die Quelle allerdings, auf die sich Lobby-Control stützt, ist Alexander Sander, der Assistent des österreichischen EU-Parlamentariers Martin Ehrenhauser. Derselbe Ehrenhauser, der den Lobbyticker-Erfinder Martin des Betrugs beschuldigt.

Ehrenhauser schaffte es 2009 über die Liste Martin ins EU-Parlament. Er wurde erst Abgeordneter, als die anderen Kandidaten ihr Mandat ablegten. Medien kritisierten, dass Ehrenhauseres Nachrücken nicht durch eine Wahl bestätigt wurde. Ehrenhauser habe bei Martin einen "Grundkurs in der Kunst des Tarnens und Täuschens" absolviert, schrieb Florian Gasser 2011 in der Zeit. So wichtig der Kampf gegen intransparente Lobbyarbeit ist, mit "Martin und Martin", wie sich Ehrenhauser und Martin selbst lange nannten, hat er zwei problematische Fürsprecher.

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