Einfluss des Westens auf Syrien:Instrumente mit begrenzter Wirkung

Ist Assad mit den gleichen Waffen zu schlagen wie Gaddafi? Ein Militäreinsatz gegen das syrische Regime, das die Opposition brutal niederschlagen lässt, gilt als zu teuer und zu riskant. Vielmehr setzt der Westen auf Wirtschaftssanktionen, moralische Appelle und gute Geheimdienstarbeit. Doch das wird Assad wenig beeindrucken.

Matthias Kolb

Nach dem Sieg der Rebellen in Libyen wächst die Hoffnung, dass sich auch die Opposition in Syrien gegen das Regime von Baschar al-Assad behaupten kann. Anders als die Aufständischen von Bengasi erhalten die Assad-Gegner keine militärische Unterstützung des Westens. Dies hat mehrere Gründe: Die USA und ihre Verbündeten können und wollen sich einen weiteren Militäreinsatz nicht leisten. Im Gegensatz zum Kampf gegen Gaddafi würde eine Flugverbotszone im Falle Syriens wenig bewirken, da Assads Soldaten am Boden gegen die Demonstranten vorgehen. Noch wichtiger: Die Opposition mag zersplittert und heterogen sein, doch fast alle Gruppen lehnen einen Einsatz des Westens ab.

Einfluss des Westens auf Syrien: In der türkischen Wirtschaftsmetropole Istanbul protestieren Exil-Syrer gegen Präsident Baschar al-Assad - und vergleichen ihn mit Libyens flüchtigen Machthaber Muammar al-Gaddafi.

In der türkischen Wirtschaftsmetropole Istanbul protestieren Exil-Syrer gegen Präsident Baschar al-Assad - und vergleichen ihn mit Libyens flüchtigen Machthaber Muammar al-Gaddafi.

(Foto: AFP)

Hinzu kommt, dass die syrische Armee viel schlagkräftiger ist als die libysche, wie etwa der frühere Außenminister Joschka Fischer im Magazin Der Spiegel erläutert: "Im Fall Syrien sind die Risiken eines militärischen Eingreifens sehr viel größer, Damaskus ist ein zentraler Dreh- und Angelpunkt des Nahostkonflikts. Man muss immer die Risiken miteinbeziehen, wenn man humanitär eingreift. In Libyen waren sie beherrschbar." Syrien ist weiterhin ein wichtiger Akteur im Libanon, wo Damaskus die radikal-islamische Hisbollah-Miliz unterstützt. Ohne Syrien läuft in Beirut wenig.

Doch wie kann die internationale Gemeinschaft das brutale Vorgehen des Assad-Regimes gegen das eigene Volk stoppen und verhindern, dass noch mehr als 2200 Menschen ihr Leben verlieren, wie Menschenrechtsorganisationen gezählt haben? Welchen Effekt haben Wirtschaftssanktionen, was lässt sich mit Diplomatie erreichen und was können Geheimdienste tun? Ein Überblick über die Optionen.

Wirtschaftssanktionen

Noch in dieser Woche möchten die 27 Mitglieder der Europäischen Union ein Importverbot für Rohöl und Ölprodukte aus Syrien beschließen. Die USA haben ein solches Embargo bereits erlassen. 90 Prozent der syrischen Öl-Ausfuhren werden von Italien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Deutschland eingeführt. Dem Mineralölwirtschaftsverband zufolge importierte die Bundesrepublik im vergangenen Jahr 2,7 Millionen des gesamten Ölverbrauchs von 93 Millionen Tonnen aus Syrien.

André Bank vom GIGA-Institut für Nahost-Studien wertet den Schritt der EU als "Zeichen der Selbstvergewisserung". Die politischen Effekte seien kurzfristig gering, sagte er der Agentur Reuters. "Mittelfristig, nach einem halben Jahr oder mehr, wird das die syrische Wirtschaft beeinträchtigen. Das Regime ist stark vom Öl abhängig", erläutert der Syrien-Experte. Dies setze jedoch voraus, dass sich die Beziehungen zu strategischen Handelspartnern wie dem Irak, Iran oder der Türkei verschlechterten. Ansonsten sei die Energieversorgung im Land - von der Assad große Teile importiert - gesichert. Andere Exportgüter sind Baumwolle, Agrargüter und Textilien.

Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) verweist auf Berichte, wonach die syrische Zentralbank zuletzt etwa zwei Milliarden Dollar investierte, um das Syrische Pfund stabil zu halten. Wenn EU-Staaten keine Ölprodukte mehr kaufen würden, dann trete "früher oder später ein Mangel an harten Devisen auf", erklärt der Syrienkenner im Gespräch mit sueddeutsche.de. Syrien hat jahrelang einen Exportüberschuss erwirtschaftet, indem es billiges Öl aus dem Irak bezog und sein eigenes an westliche Staaten verkaufte. Die wichtigen Einnahmen aus dem westlichen Tourismus seien bereits weggefallen, was die Probleme des Regimes in Damaskus verstärken dürfte: "Die Repressionskräfte müssen ja auch bezahlt werden."

Mittelfristig wird auch der syrische Mittelstand die Folgen des Embargos zu spüren bekommen, der sich bisher loyal zum Assad-Regime verhält. Sollten die vor allem in Damaskus und Aleppo ansässigen Geschäftsleute jedoch um ihre Existenzgrundlage bangen, könnte sich dies laut Wimmen jedoch ändern. Allerdings sei es der Opposition noch nicht gelungen, den Eindruck vieler Syrer, Chaos sei die einzige Alternative zum Regime, wirksam zu entkräften.

Viele Angehörige der verschiedenen Minderheiten wie Christen oder Kurden fürchten, dass ein Sturz des Alawiten zu konfessionellen Spannungen und letzlich zum Bürgerkrieg führen werde. Zuletzt wurde öfters gemeldet, dass sich einflussreiche syrische Unternehmer von Assad abwenden. Der britische Guardian zitiert einen westlichen Diplomaten mit den Worten: "Viele Geschäftsleute kommen zu uns, um uns zu sagen, wie sehr sie das Regime hassen."

Die begrenzten Mittel der Diplomaten

Der SWP-Experte verweist auf einen anderen Punkt: Es sei schwer abzuschätzen, ob sich ein anderer Käufer für das bislang für Europa bestimmte Öl findet. "Wenn China oder Indien die Mengen aufkaufen, dann wird das Regime nicht sehr geschwächt", sagt Wimmen. Ohne eine Resolution des UN-Sicherheitsrats könne das Regime trotz EU-Sanktionen darauf hoffen, die für solche Exportgeschäfte nötigen Finanz- und Transportdienstleister durch Unternehmen aus Drittländern zu ersetzen. Solche Banken und Reedereien müssten dann allerdings unter Umständen negative Rückwirkungen auf mögliche Geschäftsinteressen in den USA befürchten.

Einfluss des Westens auf Syrien: Angestellte in einer syrischen Bank stapeln Bündel mit Geldscheinen. Die USA und die EU hoffen, dass das Öl-Embargo die Wirtschaft Syriens schwächen und Präsident Assad weiter unter Druck setzen wird.

Angestellte in einer syrischen Bank stapeln Bündel mit Geldscheinen. Die USA und die EU hoffen, dass das Öl-Embargo die Wirtschaft Syriens schwächen und Präsident Assad weiter unter Druck setzen wird.

(Foto: AFP)

Sollte Damaskus das Geld ausgehen, werde möglicherweise der Verbündete Iran einspringen. Entsprechende Gerüchte kursieren bereits, doch bisher fehlen Belege. Heiko Wimmen analysiert: "Teheran wird viel tun, um Assad an der Macht zu halten. Es wäre dann aber abzuwarten, wie lang die iranische Bevölkerung einen solch kostspieligen Schritt unterstützen würde."

In der Opposition stößt das geplante EU-Embargo auf Zustimmung. Auch diejenigen Teile der Opposition, die noch immer auf eine Verhandlung als Ausweg aus der Eskalation setzen, hoffen, dass internationaler Druck das Regime dazu bewegen wird, endlich den Dialog mit der eigenen Gesellschaft zu eröffnen. Nur wenn Assad seine Schergen zurückpfeife und ein glaubwürdiger Reformprozess eingeleitet werde, so bilanziert Wimmen deren Argumentation, könne verhandelt, die Gewalt beendet und ein Bürgerkrieg vermieden werden.

Diplomatischer Druck und moralische Appelle

Neben dem Öl-Embargo haben die USA und die Europäische Union Einreiseverbote gegen Mitglieder des syrischen Regimes verhängt und Auslandskonten eingefroren. Bei den meisten der 15 Personen, die seit vergangener Woche nicht mehr in die EU einreisen dürfen, handelt es sich um führende Militärs oder enge Vertraute von Präsident Assad und dessen Bruder Maher al-Assad, der unter anderem die Präsidentengarde kommandiert. Diese Schritte werden in Damaskus nach Einschätzung des SWP-Experten Wimmen wenig bewirken: "Es geht diesen Herren um Machterhalt. Da sind sie auch bereit, auf die ein oder andere Million zu verzichten, die sie illegal ins Ausland geschafft haben."

Trotz der vielfältigen Appelle von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der Arabischen Liga und anderen Spitzenpolitikern rechnet der Hamburger Politologe André Bank vom GIGA nicht mehr mit einer Verhandlungslösung. Er sagte in einem Interview mit der Online-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung: "Diese Möglichkeit gab es spätestens mit der ersten öffentlichen Rede von Assad Ende März faktisch nicht mehr. Bemühungen von außen sind daher zum Nullsummenspiel geworden. Die essentielle Strategie des Regimes ist seitdem die der Repression. Mittlerweile ist diese Haltung zur Überlebensfrage für Damaskus geworden."

Obwohl sich wichtige Staaten der Region wie die Türkei und Saudi-Arabien von Syrien distanziert haben, ist Baschar al-Assad noch nicht komplett isoliert. Auch wenn Iran in der vergangenen Woche erklärt hatte, die syrische Regierung müsse die legitimen Forderungen des Volkes anerkennen, steht Teheran wohl weiter an der Seite Syriens. Auch Russland und China gewähren dem Land eine gewisse Unterstützung. Die ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat lehnen eine Resolution mit strengen Sanktionen bisher ab. Beide Staaten sehen das Prinzip der humanitären Schutzverantwortung (responsibility to protect), mit der die UN-Resolution 1973 gegen Libyen begründet wurde, skeptisch, was auch an den eigenen Erfahrungen mit separatistischen Bewegungen liegt. "Vor dem Hintergrund des Kaschmir-Konflikts wird auch Indien in dieser Frage eher bremsen", vermutet Heiko Wimmen. Indien ist momentan - ebenso wie Deutschland - Mitglied im Sicherheitsrat.

Der Wert der Appelle

Secretary Of State Hillary Clinton Makes Statement On Syria

US-Außenministerin Hillary Clinton ist eine der vielen internationalen Spitzenpolitiker, die den syrischen Präsidenten Assad zum Rücktritt auffordern.

(Foto: AFP)

Ist es deswegen reine Rhetorik, wenn US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der britische Premierminister David Cameron sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton den syrischen Präsidenten Assad zum Rücktritt auffordern? Der Islam- und Politikwissenschaftler Wimmen hält es im Gespräch mit sueddeutsche.de für sehr unwahrscheinlich, dass sich aufgrund solcher Botschaften Teile der syrischen Machtelite von Assad abwenden: "Anders als in Libyen, wo alles auf Gaddafi zugeschnitten war, ist der Machtapparat in Syrien auf ein komplexes System gegenseitiger Abhängigkeiten und Kontrolle gegründet. Ein solches Geflecht macht es sehr schwer, dass sich eine Gruppe abspaltet."

Für vollkommen nutzlos hält er die Appelle jedoch nicht: "Die Forderungen sind moralisch richtig und deswegen sollen sie auch artikuliert werden. Für die Oppositionellen, die tagtäglich ihr Leben auf den Straßen Syriens riskieren, ist diese Unterstützung extrem wichtig, damit sie wissen, dass die Welt sie nicht vergisst. Für eine Widerstandsbewegung ist Moral eine kritische Ressource."

Die Grenzen der Geheimdienste

Während es westlichen Staaten wie Frankreich und Großbritannien in Libyen offenbar gelungen ist, Waffen ins Land zu schmuggeln und Rebellen auszubilden, ist von ähnlichen Aktionen in Syrien nichts bekannt. Die Opposition kontrolliert dort keine nennenswerten Gebiete, in denen militärische Schulung möglich wäre - und lehnt solche Aktionen bislang auch mehrheitlich ab.

Dies hält Heiko Wimmen für die richtige Strategie: "Die Oppositionellen wissen, dass sie gegen das hochgerüstete syrische Militär nicht gewinnen können - und sie würden ihre moralische Überlegenheit und die Sympathie der Weltöffentlichkeit verlieren." Zudem ließe sich die offizielle Propaganda, der Protest werde vom Ausland gesteuert, dann kaum noch entkräften. Mit der Fortdauer der gewaltsamen Unterdrückung mehren sich allerdings die Stimmen, die die Strategie des gewaltlosen Widerstands in Frage stellen und auf einen baldigen Übergang zu bewaffnetem Kampf drängen.

André Bank hält es für prinzipiell möglich, dass westliche Geheimdienste die Opposition mit Geld und technischem Equipment unterstützen. "Zu Anfang der Proteste wurden bereits Handys und Modems mit Zugang zu libanesischen und jordanischen Netzen hineingeschmuggelt, so dass auch jenseits des kontrollierten syrischen Netzes kommuniziert werden konnte", erklärt der Wissenschaftler im Gespräch mit sueddeutsche.de. Im Allgemeinen seien die Möglichkeiten der West-Agenten jedoch begrenzt, was auch am engmaschigen Sicherheitsapparat Syriens liege, in dem mehrere Geheimdienste aktiv sind.

Der deutsche Syrien-Experte Erik Mohns, der im dänischen Odense forscht, spricht im sueddeutsche.de-Interview sogar von einem Dilemma: "Jede Form der westlichen Intervention, egal ob sie politisch, ökonomisch oder geheimdienstlich ist, könnte der eigentlichen Intention, den Aufstand zu unterstützen, schaden und eine weitere brutale Reaktion des Regimes provozieren."

Die Komplexität der Lage scheint den westlichen Staaten durchaus bewusst zu sein, weshalb sie ihre Unterstützung bisher weitestgehend auf Rhetorik und wirtschaftliche Sanktionen gegen Regimevertreter beschränkt hätten. Mohns rechnet damit, dass die EU-Staaten nun das Öl-Embargo beschließen und dessen Folgen abwarten werden - und ansonsten die mutigen Oppositionellen vor allem mit Worten unterstützen.

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