Einer links:Auf den Spuren des Gerhard Schröder

Manfred Bissinger, 64, war in der vorigen Woche bei Gerhard Schröder - kurz nach dem Sonntags-Auftritt des Kanzlers in Sabine Christiansen. Sie redeten, wie so oft, über die aktuelle Lage. Höchst erfreut zeigte sich Schröder über die für ihn so gut verlaufene ARD-Talkshow.

Ist der Bissinger in solchen Gesprächen der große Spin Doctor? Weit gefehlt, sagt der Journalist: "Ich bin mit Gerhard Schröder befreundet. Wir kennen uns seit 35 Jahren und waren schon in Hamburg unterwegs, als er noch Juso war." Sicher könne er ihn vermutlich immer erreichen, wenn er wollte - "ich bin aber kein Kanzlerberater und erst recht nicht eine Art Rasputin, zu dem mich manche Journalisten machen wollen".

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Manfred Bissinger erklärt die Sozialdemokraten

(Foto: Foto: AP)

Tatsächlich ist Bissinger in den sieben Kanzler-Jahren des Freundes ein besonderer Begleiter gewesen. Er analysierte - gut informiert - bis zum Jahr 2002 in der von ihm herausgegebenen Zeitung Die Woche; er erfand mit Freunden der Künste in seinem Landhaus bei Stade das Amt des Kulturstaatsministers; er ist prominent auf einem Foto der Fotografin Barbara Klemm zu sehen, das Schröder inmitten seiner Lieben beim unverhofften Wahlsieg 2002 zeigt.

Dass dieses Bilddokument in Bissingers Hamburger Wohnung hängt, schrieb der Tagesspiegel in einem Porträt - Bissinger ärgert sich noch heute, dem Reporter den Blick ins Persönliche erlaubt zu haben.

Roter mit Rauschebart

Nun ist Wahlkampf. Zeit für Publizistisches. Innerhalb von nur zwei Wochen schrieben Bissinger und Hugo Müller-Vogg das Buch Schröder oder Merkel - die schnelle Wahlhilfe (Startauflage: 20.000), lexikalische Miniaturen über Regierung und Opposition. Einer argumentiert pro Schröder, einer pro Merkel.

"Dass heute eine kinderlose, geschiedene Frau aus dem Osten und ein bekennender Homosexueller Spitzenkandidaten einer bürgerlichen Koalition sein können - ohne die 68er wäre das ausgeschlossen", schreibt Bissinger, der 68er mit dem Rauschebart, Sohn eines Journalisten und Verlegers, der bei Vieh- und Fleischwirtschaft sowie der Bayerischen Handwerkszeitung volontierte, Karriere machte in Hamburg bei Panorama (NDR) und Stern, wo er Vize-Chefredakteur war.

Erst Sprecher, dann Chefredakteur

Danach, 1978, Senatssprecher unter Hamburgs Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD), anschließend Chefredakteur (Konkret, Natur, Merian), dann Gründer der Woche.

"Ich hatte immer Wohnungen renovieren müssen - und konnte auf einmal mein eigenes Haus bauen", sagt Bissinger, der daran dachte, bei dem Wochenblatt bis ins hohe Alter an der Republik mitzuschreiben. Sein Fazit: "Wir haben bei der Woche neue Elemente ins Zeitungsmachen eingeführt, die man heute in vielen Blättern findet."

Erinnerung, ein bisschen Wehmut. Bissinger ist heute hauptsächlich Geschäftsführer Corporate Publishing im Verlag Hoffmann und Campe, verantwortlich für profitable Kundenblätter wie BMW Magazin, ausgestattet mit einem um zwei Jahre bis 2007 verlängerten Vertrag. Wenn er Lust auf einen Kommentar hat, ruft Bissinger einfach bei einer Zeitung an.

So empörte er sich im Tagesspiegel über Bertelsmann-Eigentümerin Liz Mohn, die eine Eloge auf Angela Merkel geschrieben hatte. Gelegentlich mag es ihn schmerzen, dass er Anfang der neunziger Jahre nicht doch bei Bertelsmann die Chefredaktion von Geo übernommen hat - von da wäre der Sprung an die Spitze des Sterns möglich gewesen.

Haltung erwünscht

Dort schreibt nunmehr wöchentlich Hans-Ulrich Jörges eine Kolumne, früher Bissingers Chefredakteur bei der Woche. Vom einst engen Verhältnis ist nichts mehr zu spüren. "Er ist nicht mein Lieblingsfeind", kommentiert Bissinger knapp, "das wäre zu hoch gegriffen. Ganz allgemein gesagt mag ich tagesopportunistischen Journalismus nicht. Jemand sollte eine Haltung haben."

Im Stern also fabuliert heute der Protegé von einst. Und sein früherer Mentor gibt den Linken, wenn Müller-Vogg der Rechte ist. Und im Übrigen befragt Jörges im MDR und auf Phoenix mit Müller-Vogg Gäste. Das Karussell dreht sich.

Bissinger erinnert sich, dass er in der Woche für Merkel als CDU-Chefin plädierte, während Müller-Vogg in der gemeinsam moderierten TV-Talkshow 3-2-1 (Hessischer Rundfunk) vor Merkel warnte. Die aktuelle Wahl, sagt Bissinger, sei noch nicht gegen den telegenen Kanzler gelaufen: "Die Publizistik macht einen Fehler, wenn sie ihn zu früh abschreibt." Es geht um Wahrheiten für den Moment.

Testlauf in der Provinz

Die journalistische Dialektik - einer links, einer rechts - hat das Duo Bissinger/Müller-Vogg von 2002 an monatlich bei einigen Regionalzeitungen erprobt. Bis zuletzt druckten die Nord-West-Zeitung und die Westdeutsche Zeitung - doch dann verpflichtete Bild Müller-Vogg exklusiv für das Medium Tageszeitung.

Eine wöchentliche Streitschau in dem Boulevardblatt mag sich Bissinger nicht vorstellen: Dafür wäre er nicht zu haben gewesen. "Ich nehme mir für eine solche Kolumne einen Tag Zeit." Bissinger schreibt seine Texte, schön altmodisch, mit dem Füller. Das dauert.

Nur einmal gab es in Bild Links-Rechts-Rummel der beiden, als aus ihrem Buch die jeweiligen 50 Gründe pro Schröder und Merkel erschienen. Bissinger lobt seinen Kombattanten für preußische Tugenden: "Er liefert immer pünktlich und in der verabredeten Länge." Logisch, dass Hoffmann und Campe die Bücher des Hugo Müller-Vogg druckt.

So kam das Geschäft zum Gespräch.

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