Staatsgründung in Afrika:"Endlich frei" - der Südsudan feiert seine Geburt

Nach fünf Jahrzehnten Krieg mit dem Norden ist der Südsudan jetzt unabhängig. Vor Zehntausenden Bürgern hat Präsident Salva Kiir seinen Amtseid abgelegt. Doch in den Jubel über die neue Freiheit mischen sich auch Ängste. Im Grenzgebiet kämpfen Hunderttausende Flüchtlinge ums Überleben.

Arne Perras

Trommeln um Mitternacht. Und überall im Land läuten die Glocken. Mit Tänzen, Gebeten und einem Lichtermeer aus brennenden Kerzen heißen die Menschen in Südsudan den 9. Juli 2011 willkommen. Manche haben ihr ganzes Leben lang auf diesen Moment gewartet. "Free at last", verkündet der leuchtende Schriftzug auf einer Säule in der neuen Hauptstadt Juba. Endlich frei.

Südsudan, Karte

Die Trennung ist vollzogen: An diesem Samstag hat der Südsudan seine Unabhängigkeit erklärt. Klicken Sie in das Bild, um die vollständige Karte zu sehen.

An diesem Samstag rufen die Südsudanesen ihre eigene Republik aus. Damit besiegeln sie die Trennung von Nordsudan, gegen dessen Herrschaft sie fünf Jahrzehnte lang rebellierten. Zwei Millionen Todesopfer hat der Krieg gekostet, der zu den zähesten Konflikten des Kontinents zählte. 2005 schlossen die Gegner ein Friedensabkommen. Im Januar stimmten dann 99 Prozent der Menschen in Südsudan für die Sezession von Khartum. Der Freiheitsdrang war nicht mehr zu brechen.

Und auch Omar al-Baschir, der sich 1989 in Khartum an die Macht putschte, konnte den Süden nicht aufhalten. Der Diktator muss den rohstoffreichsten Teil Sudans in die Unabhängigkeit ziehen lassen, er war unfähig, in den Grenzen seines islamischen Reichs allen Religionen, Kulturen und Völkern die Chance zu geben, sich zu entwickeln.

Der 54. Staat Afrikas

Ein Tag des Triumphs ist dies also für den Süden, in dem die meisten Menschen Christen sind. Dennoch werden sich auch Tränen der Trauer zwischen den Jubel mischen, wenn die Republik als 54. Staat Afrikas in die Völkerfamilie aufgenommen wird. Es sind Menschen wie Yaman Deng, die sich darüber jetzt gar nicht freuen können. Frau Deng zählt zu den Unglücklichen aus der Gegend Abyei, einem Ort im Grenzgebiet zwischen Nord und Süd, dessen Status ungeklärt bleibt. Die Nordtruppen hatten diesen Ort mit ihren Panzern im Mai eingenommen, Menschen, die mit dem Süden sympathisierten, flohen vor dem Feind.

Aber die Eltern von Yaman Deng waren zu alt und zu schwach, um noch fortzulaufen. Jede Minute denkt die Tochter nun an Vater und Mutter, die sie zurücklassen musste in Abyei, umlagert von schwer bewaffneten Feinden. "Sie werden sie getötet haben", sagt Frau Deng, obgleich sie gar nicht weiß, was ihnen tatsächlich widerfahren ist.

Angst und Ungewissheit bestimmt ihr Leben, sie hat keinen Grund zu jubeln. So geht es mehr als 150.000 Flüchtlingen, die in mehreren Konfliktzonen entlang der Grenze zwischen Nord- und Südsudan ums Überleben kämpfen.

Alle sprechen nun vom 193. Staat der Weltgemeinschaft, der "Republik Südsudan". Doch eigentlich werden am Nil zwei Staaten neu geboren. Denn auch Nordsudan, wo das Baschir-Regime um sein politisches Überleben kämpft, muss sich neu erfinden, nachdem es den Süden ziehen lassen muss.

Der Diktator tut dies ein wenig trotzig und mit der gewohnten eisernen Hand, mit der seine Truppen und Milizen schon seit 2003 eine blutige Spur durch den Sand von Darfur ziehen. Baschir will den Norden mit noch größerer Strenge beherrschen und dazu die islamischen Gesetze stärker nutzen als zuvor. Jetzt, da sein Reich kräftig zusammenschrumpft, tut er alles, um weiter als großer Feldherr zu gelten und Stärke zu beweisen.

Seit kurzem jagen Baschirs Soldaten auch wieder Menschen in den Nuba-Bergen. Eine Offensive gegen Rebellen sei das, erklärt das Regime, und da sei jedes Mittel erlaubt. Tatsächlich ist dies ein ungleicher Kampf, der häufig Wehrlose trifft. Frauen, Alte und Kinder.

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Die Nuba sind ein geschundenes Volk. Sie haben das Pech, nördlich der Linie zu leben, die beide Staaten jetzt trennt. Diese Menschen haben lange an der Seite des Südens Widerstand geleistet und fordern Eigenständigkeit. Der Süden ist nun frei, aber die Nuba sind gefangen in einem Staat, dessen Regime keine Gnade kennt. Khartum betrachtet die Ethnien der Nuba nicht nur als Feinde, sondern blickt auch rassistisch auf sie hinab.

Staatsgründung in Afrika: 9. Juli 2011: Südsudanesen feiern den Tag der Unabhängigkeit. Eine Weile wird die feierliche Stimmung noch andauern, doch der neue Staat steht vor großen Problemen.

9. Juli 2011: Südsudanesen feiern den Tag der Unabhängigkeit. Eine Weile wird die feierliche Stimmung noch andauern, doch der neue Staat steht vor großen Problemen.

(Foto: AP)

Ein interner Bericht der UN-Menschenrechtskommission, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, dokumentiert verstörende Details einer Militäroffensive, von der Beobachter christlicher Kirchen sagen, dass sie darauf zielt, die Nuba zu vernichten.

Kräfte des sudanesischen Regimes verkleideten sich demnach in Kadugli als Helfer des Roten Kreuzes, um Flüchtlinge zu entführen, die bei den Vereinten Nationen Schutz suchten. Außerdem werden in dem Bericht nordsudanesische Truppen verdächtigt, bei einem Angriff in Salara womöglich chemische Waffen eingesetzt zu haben.

Psychische und physische Symptome der Opfer ließen dies vermuten, heißt es in dem unveröffentlichten Dokument. Verwandte von Opfern haben Listen von Getöteten erstellt, die angeblich von Sicherheitskräften exekutiert wurden oder bei Bombenabwürfen umgekommen sind. Außerdem werden Berichte über ein neues Massengrab geprüft.

Kämpfe entlang der Grenze, Feinde im Inneren

Der Krieg ist also wieder aufgeflammt, und weil er in den Grenzgebieten tobt, bedroht er auch das neue Land im Süden, das sich als Staat erst noch aufrichten muss. Gefährlich sind nicht nur Kämpfe entlang der Grenze, es gibt auch zahlreiche militante Feinde im Inneren Südsudans, die mit den islamischen Kräften im Norden gemeinsame Sache machen.

Juba muss gleich mehrere aufständische Milizen in Schach halten, die vor allem in den Ölgebieten des neuen Staats für Chaos sorgen können. Männer wie Peter Gadet, der früher Kommandeur der Rebellentruppe SPLA war, gibt sich gar keine Mühe, sich zu verstecken, wenn er in Khartum empfangen wird. Diese Milizenführer verfolgen einerseits ihre eigenen Ziele, sie wollen als Provinzfürsten reich werden oder ihren Einfluss sichern. Aber weil sie auch immer im Verdacht stehen, als verlängerter Arm Khartums zu dienen, haben diese militärischen Auseinandersetzungen eine Sprengkraft, die Nord und Süd in immer neue Konflikte verwickelt.

Nach dem 9. Juli wird der Kampf eine neue Dimension gewinnen, denn nun stehen sich zwei souveräne Staaten gegenüber. Manchmal tauchen in Gesprächen in Juba auch Schreckgespenster aus der unmittelbaren Nachbarschaft auf. Als der Staat Eritrea am Horn von Afrika unabhängig wurde, dauerte es nicht lange, bis sich das Land einen heftigen Grenzkrieg mit Äthiopien lieferte.

Im Süden Sudans wollen sie keinen neuen Krieg mehr, die meisten Menschen sind des Kämpfens müde. "Aber auch kleine Brennpunkte können in Sudan eine schwer beherrschbare Dynamik entwickeln", warnt ein hochrangiger UN-Vertreter in Juba. Die Angst vor einem Flächenbrand ist geblieben.

In diesen Tagen wird darüber aber weniger gesprochen, besonders in Juba. "Die Stimmung ist beeindruckend", sagt der Afrika-Beauftragte der Bundesregierung, Walter Lindner, der am Freitag dort einschwebte. Er trägt, wie er am Telefon erzählt, ein Metallköfferchen bei sich, in dem sich ein wichtiges Dokument befindet. Es ist das Anerkennungsschreiben der Deutschen, gezeichnet von Bundespräsident Christian Wulff.

Das hat Lindner am Samstagnachmittag dem Präsidenten der neuen Republik, Salva Kiir, übergeben. Berlin hat damit den neuen Staat anerkannt, Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dem neuen Staat in ihrer wöchentlichen Videobotschaft Unterstützung zu, das Thema Sudan werde ganz oben auf der Tagesordnung im UN-Sicherheitsrat stehen. Und weil die Deutschen auch den Vorsitz haben, reist Außenminister Guido Westerwelle nächste Woche selbst nach New York, wenn das Land in den Kreis der Vereinten Nationen aufgenommen wird. Am Freitag hat der Bundestag nun auch einem weiteren Einsatz der Bundeswehr in Südsudan zugestimmt. Demnach können sich bis zu 50 deutsche Soldaten an der 7000 Mann starken UN-Mission beteiligen.

Inzwischen haben auch die USA den Südsudan formell als Staat anerkannt: "Der heutige Tag ist eine Erinnerung daran, dass nach der Dunkelheit des Krieges das Licht eines neuen Morgens möglich ist", erklärte Barack Obama, er sei überzeugt dass der "Bund der Freundschaft" zwischen den USA und dem Südsudan sich in den kommenden Jahren weiter vertiefen werde, so der US-Präsident weiter.

Einige Tage wird die feierliche Stimmung sicher noch anhalten, aber dann holt Südsudan wieder der Alltag ein. "Frühere Buschkrieger müssen jetzt plötzlich einen Staat lenken", sagt der deutsche Afrika-Beauftragte Lindner. "Das ist ein großer Schritt - auch psychologisch." Eine neue Ära bricht an, die neues Denken erfordert. Nicht mehr kämpfen, sondern aufbauen. Daran müssen sich alle erst noch gewöhnen.

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